Ein Disstrack stellt zwar einen effektvollen, aber selten einen nachhaltigen Einstieg in die Rap-Szene dar. Aufmerksamkeit erregen kann man damit garantiert, dem Ganzen aber auch noch etwas von der eigenen Persönlichkeit oder eine größere Message mitzugeben, passiert selten. Die ägyptisch-marokkanische Künstlerin Perrie El Hariri, auch bekannt unter der Kurzversion Perrie, hat beides geschafft: Sie hat einen Disstrack zur feministischen Hymne werden lassen und danach kontinuierlich durchgezogen.
Wobei man zugegebenermaßen etwas überdramatisiert, wenn man ihre Single „Shigella“ einen Disstrack nennt. Der Song verkörpert viel mehr eine deutliche Reaktion auf den Song „Salmonella“ des ägyptischen Influencers Tameem Youness. In dem Track spielt er die Rolle eines wütenden Mannes, der von einer Frau abgewiesen wird und ihr daraufhin mehr oder weniger Pest und Cholera auf den Hals wünscht. Eine Performance, die ihm viel Kritik einbringt, weil man sie einerseits tone-deaf nennen muss und sie andererseits auch einfach naiv ist. Grund genug für Perrie, 2020 ihre Variante zu veröffentlichen, auf der sie das Selbstverständliche zementiert: „Consent is always the key.“
Der Weg der heute Mitte Zwanzigjährigen beginnt natürlich nicht erst bei diesem viralen Hit, auch wenn er ganz klar ihren Durchbruch kennzeichnet. Mit 17 Jahren verlässt Perrie Ägypten und studiert in England Sound Engineering, Music and Performance. An der University of Leicester macht sie allerdings nicht nur ihren Bachelor fertig: Sie lernt in Großbritannien auch jede Menge musikalische Genres kennen, die sich fest in ihrem Kopf verankern, bevor sie in ihre Heimat zurückkehrt. Ihr erster öffentlicher Song „Kendrick Says“ ist dementsprechend auch noch eine englischsprachige Nummer, die Perrie vom Beat bis zum Cover selbst produziert – nur ein Beispiel für das umfangreiche Talent, das sie auch in aktuellen Songs immer wieder einbringt. Genauso wie immer wieder die englische Sprache in ihrem mittlerweile größtenteils arabischen Rap vorkommt.
Zeitgenössischer Rap beeinflusst ihre Musik in gleichem Maße wie die Neuinterpretation und Weiterentwicklung des Shaabi, der (einfach gesagt) ägyptischen Musik der Arbeiter:innenklasse. Aus dem Genre ist in den letzten Jahren beispielsweise das moderne elektronische Mahraganat und der Trap-Mix Tra-Shaabi hervorgegangen. Traditionalist:innen mögen mit den Augen rollen, aber deren Aufmerksamkeit interessiert Perrie sicher am wenigsten. Ihr liegt viel mehr daran, Frauen auf realistische Weise in der Musik zu repräsentieren. Wurden sie ihrer Aussage nach früher auf ein Podest gestellt, sollten sich nach bestimmten Vorstellungen anziehen, die Haare glätten und begehrenswert sein, geht der Trend heute zum toughen Girlboss-Dasein. Ein Umstand, der es fast unmöglich macht, auch Schwäche zu zeigen oder einfach nur man selbst zu sein, wie die Rapperin im Interview mit Cosmopolitan Middle East erwähnt: „We don’t come all standardized. We are all different and we should embrace it.“
Kein Wunder, dass Spotify schon nach „Shigella“ großes Interesse an Perrie El Hariri gezeigt hat. Für das Projekt SAWTIK (arab.: „deine Stimme“) werden seit 2020 junge, aufstrebende, arabische Künstlerinnen gepusht und Perrie gehört zu den Headlinerinnen. Nach ihrer EP „12: 01 Am“, die sie 2021 rausgebracht hat, macht Spotify sie kürzlich zur ersten Botschafterin und zum Aushängeschild des nächstem internen Projekts Equal Arabia. Ein Umstand, wegen dem die junge Künstlerin als erste ägyptische Rapperin auf meterhohen Werbetafeln am Times Square in New York hing. Davor hat sie wahrscheinlich selbst staunend gestanden und augenzwinkernd zu sich gesagt: Und das alles nur wegen eines Disstracks.