Deutschrap ist, „als müsste man zwischen nackten Hetero-Männern herumlaufen, die mit ihren Genitalien wedeln“, schreibt Dr. Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray in ihrem Buch „Yalla, Feminismus“. Um deutliche Worte ist die Rapperin, Linguistin, Autorin und Radiomoderatiorin nie verlegen. Lady Bitch Ray vertritt einen im Deutschrap durchaus untypischen Feminismus, der offensiv und sex-positiv daherkommt und den, unter anderem wegen dieser beiden Attribute, manche ihrer männlichen Kollegen als provozierend oder gar empörend wahrnehmen. Doch Reyhan Şahin reicht es nicht, nur innerhalb der Szene zu polarisieren. Wenn ihr etwas nicht passt, zeigt sie es. Das musste auch der heutige Chefredakteur der Welt, Ulf Poschardt erfahren, dem Lady Bitch Ray 2008 in einer österreichischen Talkshow ein Glas Wasser ins Gesicht schüttete.
Wer ist diese Frau, die sich in kaum einer Situation zurückhält und sich auch nicht scheut, gesellschaftliche Tabus zu brechen?
Beginnen wir – ganz klassisch – am Anfang: Reyhan Şahin wird 1980 in Bremen geboren. Sie interessiert sich früh für Rap. Trotzdem dauert es bis ins Jahr 2005, bis sie ihre ersten Songs kostenlos ins Netz stellt. Zu dieser Zeit arbeitet Şahin bei Radio Bremen und moderiert die Sendung „Funkhaus Europa“. Als ihr Song „Hengzt Arzt Orgi“ bekannter wird, der von einer fiktiven Sexorgie mit den Rappern Bass Sultan Hengzt, Frauenarzt und King Orgasmus One handelt, entlässt sie Radio Bremen aufgrund der „pornographischen Inhalte“ ihrer Musik. Lady Bitch Ray wehrt sich gegen die Entlassung – und verliert. Der Fall wird jedoch weltweit diskutiert, unter anderem berichten die New York Post und The Sun darüber.
Nach drei EP‘s in den Jahren 2006 und 2007, durch die sie einige Aufmerksamkeit generieren kann, tourt sie durch verschiedene Talkshows. Unter anderem führt sie ihr Weg in den Süden, wo sie zur Late Night Show „Willkommen Österreich“ eingeladen wird. Vor Şahins Auftritt äußert sich der damalige Chefredakteur der Vanity Fair und heutige Chefredakteur der Welt, Ulf Poschardt, der ebenfalls in der Talkshow zu Gast ist, respektlos über ihren Kleidungsstil, ihre Persönlichkeit und ihre Musik. Lady Bitch Ray dankt es ihm, indem sie dem feixenden Chefredakteur zu Beginn ihres Auftritts ein Wasserglas ins Gesicht schüttet und ihn dann mit einem mehr oder minder freundlichen „Fuck off, Poschi“ und ihrem Mittelfinger aus dem Studio schickt.
Neben ihrer Rapkarriere arbeitet Lady Bitch Ray an ihrer Promotion. Diese muss sie unterbrechen, als sie 2008 in der Bremer Universitätsbibliothek einen Zusammenbruch erleidet. Şahin geht offen mit ihrer Depression um. Die Krankheit kann sie nicht daran hindern, 2012 über „Die Bedeutung des muslimischen Kopftuchs in Deutschland“ zu promovieren. Nun darf sie sich offiziell Dr. Bitch Ray nennen.Um ihre Rapkarriere ist es ruhig geworden. Zwar erschienen 2018 nochmal zwei Songs der Bremerin, „Bitchanel“ und „Cleopatra“ sowie im Februar 2020 ihr erstes Feature mit einem männlichen Rapper, dem ebenfalls aus Bremen stammenden Tightill. Dafür arbeitet Dr. Reyhan Şahin an ihrer Autorinnenkarriere. Ihr Buch „Yalla, Feminismus“ erschien 2019 und wurde überwiegend positiv rezensiert. Lady Bitch Ray aka Dr. Reyhan Şahin hat der deutschen Rapszene mehr gegeben als nur ein paar Songs, denn sie positionierte sich als eine der ersten Rapperinnen gegen den, in den frühen 2000ern omnipräsenten, Sexismus der deutschen Rapszene. Mittlerweile ist sie eine wichtige Stimme gegen Rassismen und Sexismen, die sie vor allem auf ihrem Twitterkanal aufdeckt und auf ihre unverwechselbare Art zerstört („Ich schwöre, wallahi ich wusste das, dass die Senkung der #Tamponsteuer durch die Anhebung der Preise im neuen Jahr im Endeffekt nichts gebracht haben wird. Diesen Konzernchefs, die sowas bestimmen, würde ich am liebsten einen Eimer voll Menstruation über die Birne kippen.“). Auch wenn ihre Musik umstritten sein mag, so ist ihre Relevanz für die deutsche Rapszene unbestreitbar. Hoffentlich wird sie uns noch einige Jahre mit ihren Talkshowauftritten beglücken.