Als eine der ganz wenigen Frauen* in der nigerianischen Rap-Szene genießt Phlow automatisch einen Sonderstatus. Ihr eilt der Ruf voraus, die Eine zu sein, die mit den Jungs nicht nur abhängen, sondern auch Schritt halten kann. „Sie tritt nigeranischen female MCs, die nach ihr kommen, die Türen auf“, begeistert sich die internationale Fachpresse. Die Gepriesene selbst sieht die Sache weit nüchterner:
To be honest I’m pretty indifferent about the term ‚femcee‘. An emcee is an emcee regardless. I think it’s a little daunting out here for a female rapper. A lot of us tend to start hot and sorta fizzle out, but I think things are improving and it’s getting to a point where people really wanna listen to what a female rapper has to say.“
– Phlow im Interview mit The Source (Ja, genau: THE SOURCE.)
Zu sagen haben female MCs im Allgemeinen, Phlow im Besonderen, eine ganze Menge. Gut also, dass sie nicht auf den Mund gefallen ist. Stefanie Asuai Eyime, so ihr bürgerlicher Name, wächst in Lagos zusammen mit ihren beiden Brüdern auf: nicht die schlechteste Vorbereitung, um sich unter Männern zu behaupten. „Aufmerksamkeit und Respekt zu bekommen sind allerdings zwei völlig verschiedene Dinge“, erklärt sie gegenüber Pointblack Afrika. Aufmerksamkeit sei quasi garantiert, so lange Frauen* im nigerianischen Rap-Game Seltenheitswert haben. Respekt dagegen müsse man sich hart erarbeiten. Klar, worauf von beidem es Phlow abgesehen hat.
An den HipHop führt ihr älterer Bruder Stephanie heran. Er singt und rappt in den Reihen einer Gospel-Rap-Gruppe. Ihn auszustechen, die Verse noch schneller, versierter, flüssiger vorzutragen, darin bringt es die kleine Schwester bald zur Perfektion. Ihr Künstlerinnenname Phlow fliegt ihr also geradezu zu. Zumal sie den Flow ohnehin als einen wesentlichen Bestandteil der Musik betrachtet.
Ab etwa 2009 nimmt das junge Talent in ihrem Schlafzimmer und sehr zum Amüsement ihrer Eltern Songs auf. Coverversionen lokaler wie internationaler Künstler:innen befinden sich darunter, aber auch erste eigene Songs. Recht schnell kristallisiert sich heraus, dass Phlow nicht nur den Flow beherrscht, sondern auch lyrisches Talent mitbringt. Ihre Texte gestaltet sie von Mal zu Mal ausgefeilter. Ihre Leidenschaft pflegt sie zudem nicht lange allein: Noch zu Schulzeiten tritt sie einer Crew namens Jinus bei. Es entstehen erste Demoaufnahmen und Projekte mit verschiedenen Lokalgrößen. Zunächst bleibt die Musik jedoch ein Hobby. Im „richtigen Leben“ studiert Phlow Computerwissenschaften.
Das Blatt wendet sich erst, nachdem sie ihren Abschluss in der Tasche hat: Die freie Zeit, die sie urplötzlich hat, nutzt sie unter anderem, um an diversen Talentshows teilzunehmen – und an Rap-Battle-Formaten, „obwohl ich gar nicht so der Battlerap-Typ bin“. Letzteres glaubt allerdings maximal sie selbst: Nahezu jedes Mal, wenn sie irgendwo antritt, schafft sie es mindestens unter die besten fünf. Bei einem Format steigt sie innerhalb von nur zwei Jahren von der Teilnehmerin zum Jurymitglied auf. Mehr als einmal steht sie am Ende sogar – wie bei der Homecoming’s New Artist Competition 2019 – als Siegerin da.
Huch! Musik scheint inzwischen wohl doch mehr als nur ein Hobby für Phlow zu sein. „So um 2014 herum begannen sich die Prioritäten zu verschieben“, erinnert sie sich an den Wendepunkt ihrer Karriere. Einen wesentlichen Teil beigetragen haben dürfte der Kontakt zum Produzenten-Kollektiv Str8Buttah respektive ihrem Dreh- und Angelpunkt TeckZilla. Ihn lernt Phlow über einen gemeinsamen Freund kennen, mit dem sie eine HipHop-Party besucht, bei der TeckZilla auflegt. Es funkt genug, um sich zu einer Aufnahmesession zu verabreden. Ein Track ist geplant, es wird ein ganzes Album daraus: „Mind, Body & Phlow“ erscheint 2016.
I didn’t really feel the expectation then, I was sort of in a bubble and just working on music I liked, hoping that more and more people would vibe to it.“
– Phlow gegenüber The Native
Schon ihr Debüt verrät Phlows musikalische Bandbreite, zeigt Einflüsse aus diversen Genres. Phlow führt als Inspirationsquellen zwar jede Menge US-Rapper:innen von LL Cool J über Nas zu Drake und Nicki Minaj an. Sie feiert aber auch afrikanische Künstler:innen, und das keineswegs nur aus dem HipHop, sondern auch aus R&B, Reggae, Alternative Rock, EDM, und, und, und … Kein Wunder, dass es sie bald wurmt, irgendwie in der Schublade „straighter Rap“ gelandet zu sein:
I feel like that perception can be very limiting. For the first couple of years, it was kinda nice, like, ‘okay, I’m the rappity rap lady’ and people expect me to just do that. Then it started to feel like a box for me. I love rap, don’t get me wrong, but I don’t listen to rap as often as you might think – I love other genres. Being boxed into ‘real hip-hop’ and boom-bap isn’t the full picture – that sound just kinda happened. I tend to cling onto whatever appeals to me at every moment and working with TeckZilla (Str8buttah head), who’s amazing with that boom-bap sound helped with that. I’ve been shaking it up, anyway, just finding new things to do so I don’t get boxed in.“
– Phlow gegenüber The Native
Drei sehr persönliche EPs schiebt Phlow ihrem Debüt hinterher, quasi vertonte Tagebuch-Seiten, dann hat sie gründlich satt, in eine enge musikalische Schublade gequetscht zu werden. Mit „Marmelade“, das sie Pandemie-bedingt später als ursprünglich geplant, 2020 veröffentlicht, reißt sie endgültig alle Genre-Schranken nieder. Zwar fühlt sie sich nach wie vor mit Str8Buttah verbunden, will ihre Wurzeln niemals kappen. Trotzdem: Ihre EP entsteht und erscheint independent, mit neuem Producer und unerwarteten Features, darunter Sängerin Tomi Owó.
Als größte Inspiration bezeichnet Phlow die pulsierende Musikszene ihrer Heimatstadt Lagos. In diesem Schmelztiegel begegnen sich die unterschiedlichsten Menschen mit ihren verschiedenen Geschichten. Die bei diesem kulturellen Clash der Kulturen zusammengequirlten Stile von HipHop und R&B bis zu Afropop und allem dazwischen und außerhalb beeinflussen und befruchten sich gegenseitig – wie in dem musikalischen Mix, das Phlow mit ihren Wortspielen, ihrer Energie und … naja … mit ihrem Flow veredelt.
Mit ihrer Vorreiterinnenrolle hat sie sich inzwischen übrigens arrangiert:
I mean, whether I like it or not, I’m representing my gender in this music industry. I think about that a lot, and I also think about how women need to work together even more. When we band together, people will have to take us more seriously than they are now, instead of pitting us against each other. They always do that, though – look at Wizkid vs Davido – but working together and pushing each other up is the best way to get over all that.“
– Phlow gegenüber The Native
Wenn das mal keine weisen Schlussworte sind: Arbeitet zusammen, Ladys, nicht gegeneinander. Was ihr dann erreichen könnt? Na: alles.