Denkt man an Rap aus Großbritannien, denkt man in erster Linie an London, vielleicht noch an Manchester oder Essex. Man denkt wahrscheinlich eher selten an Wales, das Land voller Schafe mit der nahezu unerlernbaren Sprache, um noch schnell ein paar Klischees zu droppen. Damit dürfte nämlich gleich Schluss sein:
Juice Menace is here to blow up your Welsh stereotypes.“
… wissen sie bei NPR Music.
Eine ganz schön schwere Bürde für eine gerade so ihren Teenagerjahren entwachsene Künstlerin, könnte man meinen. Juice Menace trägt sie allerdings mit Fassung, als sie 2020 ihre Debüt-EP präsentiert. Als den „Beginn von etwas“ beschreibt sie „029“ und erklärt gegenüber hashbrandnew.com den Titel: „Es handelt sich um eine Vorwahl, aber es ist zugleich ein Kürzel dafür, woher ich komme und warum ich das hier tue.“
Woher sie kommt, lässt sich damit recht schnell erklären: Destiny Jones stammt aus Grangetown, einer Gemeinde im Süden der walisischen Hauptstadt Cardiff. Hier kommt sie zur Welt, hier wächst sie auf. In Cardiff bleibt sie auch verwurzelt, nachdem sie mit 16 nach Bridgend an der Südküste des Landes umzieht. Musik spielt in ihrem Leben seit jeher eine Rolle: Ihre Mutter, eine begnadete Sängerin, gibt ihrer Tochter ihr Faible für R&B mit auf den Weg. HipHop interessiert Destiny bald ebenfalls. Dass sie sich selbst am Mic versuchen könnte, kommt ihr allerdings lange gar nicht in den Sinn. Sie vergräbt sich zunächst in Literatur, Poesie und Spoken Word-Lyrik.
Erst ein halb im Spaß… okay, wohl eher im Suff abgesetzter Instagram-Post bringt einen Stein ins Rollen. „Nuff man can be a rapper“, fragte die zu diesem Zeitpunkt 17-Jährige da, „why can’t I?“. Ja… warum eigentlich nicht? Nachdem ihr ihre (noch recht überschaubare) Follower:innenschaft einhellig bescheinigt, sie könne das sehr wohl, muss Destiny liefern. „Ich hatte keinen Schimmer von Aufnahmetechniken oder überhaupt von irgendwas“, erinnert sie sich. „Ich hab‘ mir einfach das MacBook vors Gesicht gehalten und einen Freestyle aufgenommen.“ Den veröffentlicht sie bei SoundCloud. Nicht umwerfend, finden ihre Freund:innen, aber auch nicht ganz furchtbar. Für Destiny, die sich bald den Alias Juice Menace zulegen soll, eine Basis, um darauf aufzubauen.
When I first started recording, I literally used to rap in like a horrible American accent. It was bad. I was just finding my feet and everything. I was still very much a rookie. From 2018 to 2019, I was just practising, learning about the industry, finishing college.“
– Juice Menace bei walesonline
Ein ganzes Jahr lang übt sie, feilt an ihren Skills und stellt über die Monate eine Handvoll Freestyles und Remixe ins Netz. Als sich irgendwann ein Talentscout von Warner Music bei ihr meldet, bekommt sie das zunächst gar nicht mit. „Ich hab‘ nicht einmal gewusst, dass man via SoundCloud Nachrichten verschicken kann“, erzählt sie. Die Kontaktaufnahmeversuche der Plattenfirma bleiben also unbeantwortet, weil ungesehen. Auch, als der A&R-Mensch sie per E-Mail kontaktiert, hält Juice Menace das noch für einen Witz. Erst im Gespräch mit einer befreundeten Sängerin geht ihr auf, dass die Anfrage vielleicht doch ernst gemeint sein könnte. Zu ihrem Glück erweist sich der Label-Typ als recht penetrant. Irgendwie muss er ihre Nummer herausgefunden haben: Als ihr Telefon klingelt, sitzt sie gerade in einer Vorlesung. Inzwischen studiert Juice Menace am Cardiff and Vale College Musiktechnologie. Der Anrufer erklärt ihr, er sehe Potenzial. Mehr Zuspruch braucht Juice Menace nicht, um gleich am nächsten Wochenende nach London aufzubrechen. Der hartnäckige Talentscout wird ihr Manager, und sein Schützling blickt bald nicht nur auf mehrere Singles, besagte EP „029“ und ihren 2022 erschienenen Nachfolger „Clean Slate“ zurück, sondern grüßt von diversen renommierten Playlisten und aus Festival-Lineups – darunter die von Splash! und Glastonbury. Ihren ersten Liveauftritt hat sie zuvor in einem Londoner Club absolviert, als Warm-Up für AJ Tracey.
Obwohl sie in London hilfreiche Kontakte knüpft, zieht es Juice Menace bald zurück nach Cardiff. „Ich hatte das Gefühl, dass hier etwas in Bewegung geraten ist, dass eine Szene entsteht, und ich wollte ein Teil davon sein.“ Fortan repräsentiert sie Wales wieder von Wales aus, und das bald auf internationalem Parkett. Besser gesagt: auf internationalem Rasen. Ihr Landsmann und Rapperkollege Sage Todz bekam den Auftrag, einen Song für die walisische Fußball-Nationalmannschaft zu schreiben. Mit seiner Adaptation der Widerstands-Hymne „Yma O Hyd“ lieferte er so fulminant ab, dass ihn der walisische Fußballbund gleich noch um einen weiteren Song bat, um das Frauenteam bei deren Weltmeisterschaft zu supporten. Das, befand Sage Todz, sei aber doch wahrlich eine Aufgabe für eine Frau. Er empfahl Juice Menace, und auch die lieferte:
Keine ganz leichte Aufgabe, wie sie rückblickend befand:
I’d never had to write from a different point of view or a different perspective than my own. I wanted to make sure that I got it right (…) I’m not necessarily a crazy football fan. I didn’t really do it for the love of football – I did it more because of what it means to be a woman in sport, what it means to represent a national team and to work with FA Wales.“
– Juice Menace gegenüber walesonline
Was es bedeutet, als Frau in Männerdomänen unterwegs zu sein, weiß Juice Menace ja nur zu gut: „Ungleichbehandlung verlangt ihren Tribut und sorgt für eine Menge Frustration“, erklärt sie. „Ich hasse es eigentlich, in diese Female-Rap-Schublade gesteckt zu werden, Rap ist Rap, aber es birgt definitiv auch eine Motivation, ich lasse meinen ganzen Frust über meine Musik raus. Ich fühle, dass das die beste Methode ist, um zu zeigen, dass ich als eine Frau dieselbe Aufmerksamkeit verdiene, die ein Mann bekommen würde. Seit letztem Jahr gibt es allerdings viel mehr Mädels in der Szene, die Dinge ändern sich also wirklich.“ Endlich.
Nach ihren musikalischen Vorbildern gefragt, gibt Juice Menace jedesmal eine andere Antwort. Die Namen YG, Travis Scott, Vince Staples und Pharrell Williams fallen dabei allerdings immer wieder. Inspiration bezieht sie obendrein aus Kunst, Mode oder Filmen, für die sie übrigens ebenfalls Talent mitbringt: Um die visuelle Umsetzung ihrer Musik kümmert sie sich höchstpersönlich. Je mehr Fäden man in den eigenen Händen behält, umso besser, zeigt sie sich überzeugt. Entsprechend klingt auch der Rat, den Juice Menace für Kolleg:innen bereithält, die nach ihr kommen: „Denk niemals, du müsstest in irgendjemandes Fußstapfen treten. Unabhängig zu bleiben und alles selbst zu machen, ist besser. Die Leute sehen dann deinen Hunger und deine Hingabe eher. Ich strebe nach Langlebigkeit, was für mich bedeutet: Ich verkauf‘ mich nicht für 15 Minuten Ruhm.“