Wann immer überhebliche Gedanken über Casting-Shows anklopfen, von wegen, da kämen doch eh nur glattpolierte Industrieprodukte raus: Schickt sie zum Teufel. Hin und wieder begegnet man dort tatsächlich beeindruckenden Künstler:innen – wie La Valentina. Sie gelangte über die zweite Staffel des Netflix-Formats „Rhythm + Flow: Nouvelle École“ auf unseren Radar, und wir könnten darüber erfreuter nicht sein.
Der Spagat zwischen Kulturen und Kontinenten gehört für La Valentina von Anfang an dazu: Sie kommt als Tochter einer kolumbianischen Mutter zur Welt, zieht jedoch schon sehr früh nach Frankreich, wo sie in einem Vorort im Süden von Paris eine neue Heimat findet. Die Verbindung zu ihren Wurzeln reißt jedoch nicht ab: „Musik liegt schon immer in der Kultur meiner Familie“, erzählt sie im Interview mit arte Tracks. „Meine Mutter hat mir Salsa gezeigt.“ Viel Salsa, aber auch alle Arten kolumbianischer Klänge fügen sich zum Soundtrack ihrer Kindheit. Aber eben nicht nur, denn ihre beiden älteren Brüder hinterlassen ebenfalls Spuren: „Sie mochten Rock und Rap, so habe ich angefangen, mich für HipHop zu interessieren.“
Nur zuzuhören, genügt ihr nicht lange: La Valentina beginnt bald, selbst zu rappen, versucht sich an Freestyles und Oldschool-Rap: „Das war, was ich damals gehört habe.“ Die ersten Open-Mic-Sessions lassen nicht allzu lange auf sich warten, und, schwupps, steht sie auch schon im Teilnehmer:innenfeld von „Nouvelle École“.
Zugegeben, einen besonders leicht zu er-googlenden Künstlerinnennamen hat sie sich nicht ausgesucht, Valentinas gibt es leider etliche. Wer jedoch dieser hier auch nur ein paar Minuten zugehört hat, läuft keine Gefahr mehr, sie zu verwechseln: La Valentina mischt auf wahrhaft unique Art harten Rap mit melancholischen Vibes, Tradition mit Moderne. Für den passenden Sound sorgt ihr Produzent und Manager Tonio 8cho. Aus schrägen Samples, Effekten und Bass rührt er eine Melange aus BoomBap mit Drill und Chanson an. Auf dem Papier mag das nach einer strangen Kombination klingen. La Valentina bewegt sich allerdings darin wie in ihrem angestammten Element.
Bewegung stellt ohnehin schon immer ein großes Thema für sie dar: „Ich habe mit vier Jahren angefangen zu tanzen“, erinnert sie sich. Kein Wunder, dass sie sich auf der Bühne pudelwohl fühlt: „Da habe ich das Gefühl, wirklich ich zu sein.“
Die Suche nach ihrer Identität treibt La Valentina auch in ihren Lyrics an: „Ich bin Kolumbianerin“, sagt sie von sich, hadert aber zugleich mit der Frage: „Darf ich das wirklich behaupten, wenn ich nie dort gewesen bin, nie in Kolumbien gelebt habe?“ Ein Thema, das sich auch durch ihr Album „Del Amor Y Otros Demonios“ zieht, mit dem sie im Februar 2024 debütiert.
Wie der Titel schon ahnen lässt, nutzt sie für ihre Lyrics vorwiegend nicht ihre Alltagssprache Französisch: „Für mich war das selbstverständlich, das auf Spanisch zu tun“, erzählt sie arte über die Auseinandersetzung mit ihren kolumbianischen Wurzeln. Einen positiven Nebeneffekt hat das außerdem: „Auch für meine Mutter: Wenn sie meine Songs hört, versteht sie jetzt alles.“ Dass sie sich bei ihren Lyrics nicht für die eine oder die andere Sprache entscheiden muss, hat La Valentina ihr Kollege Rocca vor Augen geführt. Den französischen Rapper, der ebenfalls eine kolumbianische Herkunft hat, nennt La Valentina als große Inspirationsquelle: „Er war einer meiner wichtigsten Einflüsse für Zweisprachigkeit im Rap. Also … merci, monsieur!“
Yo, dem schließen wir uns an. Immerhin hat er dazu beigetragen, dass wir in La Valentina nun eine ausgesprochen facettenreiche Künstlerin bestaunen dürfen. Mit Lyrics auf Französisch und Spanisch, mit Bezug zu Europa und Südamerika, mit traditionellem wie ultramodernen Sounds, mit Rapskills und Gesangstalent, mit der Körperbeherrschung einer Tänzerin und, wie La Valentina sich selbst attestiert, der Mentalität eines Boxers. So etwas nimmt man doch gerne mit – aus einer Castingshow.