Es kommt nur allzu häufig vor, dass die Geschichte von Musiker:innen damit beginnt, dass sie bereits während ihrer Kinder- bzw. Jugendtage, inspiriert von ihren großen Idolen, selbst anfangen, eigene Musik zu machen, ein Instrument zu lernen oder auch einfach nur Texte zu schreiben. Es sind in der Regel gute Geschichten, mit denen man sich schnell identifizieren kann, wenngleich sie sich im Kern – nichts für ungut – auch alle sehr ähneln.
Die Geschichte der Berliner Rapperin Witch erzählt sich hingegen ein klein wenig anders. Es ist eine Geschichte, bei der die Entstehung ihrer Stage Persona Witch, unter welchem Namen sie seit ca. 2016 als queerfeministische Rapperin in Erscheinung tritt, viel eher wie das Ergebnis oder Produkt eines inneren Reifungsprozesses erscheint. Immerhin ist Witch – entgegen eben besagter gängiger Kindheitsstories – zu diesem Zeitpunkt ihres Werdegangs bereits Anfang 30 und hatte zuvor mit Rap, außer als gelegentliche Hörerin von den im Mainstream gängigen Künstler:innen, nicht viel am Hut. Und in der Tat fällt im Gespräch mit Jana aka „Bitch Witch“, wie sie selber gerne auch mal dropt, schnell auf, dass Witch weniger eine Kunstfigur oder ein Künstler:innenname ist, als ihr Alter Ego.
Nachdem Jana eher zufällig und mehr als stille Beobachterin Anfang 2014 an einem Rapworkshop (u.a. von Sookee geleitet) teilnimmt, springt bei ihr im Nachklang dann doch der Funke über. Sie zieht sich online Rap-Tutorials rein und beginnt schließlich zu texten sowie über freie Beat aus dem Netz zu rappen – es sind Janas allererste, autodidaktischen Versuche als Rapperin. Im März 2016 kommt es dann zum ersten Auftritt als Witch auf der Frauenkampftag-Demo. Kurze Zeit später folgen direkt weitere Auftritte, u.a. zusammen mit der ebenfalls queerfeministischen Rapperin Lady Lazy und DJ FVU. Rapmusik entwickelt sich für Jana schnell zu einem persönlichen Medium, um ihre politischen und gesellschaftskritischen Gedanken künstlerisch zu kanalisieren. Es geht ihr vor allem darum, ihre Stimme zu nutzen, um über ihre feministischen Ideen und Wunschvorstellungen zu sprechen sowie Kritik an all jenen Dingen äußern zu können, die diesen feministischen Utopien im patriarchalen System im Wege stehen.
Man merkt Jana in ihren Songs, vor allem aber auch im persönlichen Gespräch, ihr Studium der Gender Studies und Kulturwissenschaften an – sie weiß, wovon sie redet, und ist daher auch immer wieder darum bemüht, ihre eigenen Privilegien zu reflektieren, kritisch zu denken. Insofern ist es ihr als Witch auch ein besonders großes Bedürfnis, zum Nachdenken anzuregen, Strukturen und Normen zu hinterfragen sowie den Finger dort in die Wunde zu legen, wo es unbequem wird – und zwar auch dann, wenn es um das Hinterfragen der eigenen linkspolitischen Blase geht, in der man sich so selbstverständlich bewegt. Reflexion statt Stagnation!
„Weiße cis Mann Aufmerksamkeit war uns nie wichtig,
ich bin gelangweilt von ihrem Narzissmus, der sie antreibt wie ein Blitzlicht
mein Selbstbewusstsein ist ihnen zu witchig.“
– aus „Liebeslied“.
Das führt dann auf musikalischer Ebene dazu, dass Witch z.B. in ihrem Song „Nein bleibt Nein“ über sexuelle Selbstbestimmung oder in „Atmen“ auch mal über den kapitalistischen Leistungsdruck innerhalb unserer Gesellschaft rappt. Oder aber sich, wie in ihrem neuen Song „Abtrünnig“, auch einfach mal kritisch mit weißen Privilegen und performativem weißen Feminismus auseinandersetzt. Tabu-Themen gibt es für Witch nicht und falls doch, dann gehören diese erst recht angesprochen und entstigmatisiert.
Als Rap-Aktivistin Witch beweist Jana seit einigen Jahren eindrucksvoll, dass es egal ist, wann man zu rappen beginnt, ob man von Anfang an direkt krass produzierte Tracks raushaut oder raptechnisch schon super versiert ist, um Songs zu schreiben bzw. zu recorden: Wenn man was zu sagen hat, dann sollte man es raus lassen und sich nicht selbst deckeln. Viel wichtiger ist der Spaß an der Sache und – wie im Falle von Jana – in die eigene, persönliche „Witch Bitch“-Rolle zu wachsen.
Insofern freuen wir uns auch darüber, Jana mit ihrem politischen Engagement und der Leidenschaft für Rap-Musik seit diesem Sommer als Autorin bei 365 Female MCs dabei zu haben sowie ihr mit diesem Portrait ihren Platz in unserer Reihe widmen zu können.*
* Auch wenn es sich bei Jana aka Witch um eine Kollegin aus unserem 365 Female* MCs Autor:innen-Team handelt, wurde das Portrait mit den selben journalistischen Ansprüchen wie alle anderen Portraits des Blogs verfasst.