Unser heutiges Portrait ist wieder einmal ein Ausflug in die HipHop-Historie und zugleich der perfekte Beweis dafür, dass Rap eben keine männergemachte Musik ist. Die Geschichte von Tanya Winley aka Sweet Tee erzählt von Enthusiasmus, Skills und echter Pionierarbeit.
Laut HipHop-Autor Dan Charnas („The Big Payback: The History of the Business of Hip-Hop“ sei hier übrigens als spannende Lektüre für HipHop-Nerds empfohlen) ist diese New Yorker MC, die lediglich drei Jahre als Rapperin aktiv war, für die erste Rap-Aufnahme überhaupt verantwortlich. Lassen wir das kurz sacken: die erste Rap-Aufnahme. In der Geschichte von HipHop. Zugegeben, völlig zweifelsfrei lässt sich heute leider nicht mehr klären, wer den ersten Rapsong recordete. Fraglos gehört Sweet Tee jedoch zu den ersten Personen überhaupt, die einen Verse im Studio spitteten. Sie ist eine musikalische Zeitgenossin der Sugarhill Gang – mit dem bedeutenden Unterschied, dass sie ihre Texte selbst schrieb. Und nicht gecastet war.
Dabei hatte Sweet Tee einen kleinen Startvorteil: Ihr Vater Paul Winley betrieb ein eigenes Plattenlabel mit dem Familiennamen Winley Records. Das Label hatte sich sein gutes Standing mit Doo-Wop-Platten gemacht und sollte später bedeutende und oft gesamplete Reden von Malcolm X auf Vinyl pressen. Später wird Paul Winley zudem die vermutlich erste Breakbeat-Compilation überhaupt auf den Markt bringen. Von den „Super Disco Brake’s“ veröffentlichte er insgesamt sechs Volumes. Auslöser für Winleys Awareness bezüglich der Bedürfnisse der aufkommenden HipHop-Kultur war jedoch seine Tochter Tanya, die er selbst als „rap fanatic“ bezeichnete.
Damit sich Tanya und ihre Schwester Paulette, zu der es leider kaum Quellen gibt, in ihrer Rap-Passion ausleben konnten, begleiteten sie ihren Vater zu einer Session mit der Harlem Underground Band. An deren Ende bat Paul Winley die Band, einen einfachen „funky groove“ zu spielen, der als Instrumental für die Bars der Schwestern dienen sollte. Der Song, der in dieser Session entstand, hätte keinen besseren Namen tragen können: „Ryhmin‘ and rappin'“ erschien 1979 über Winley Records. Auf der B-Seite der Platte ist übrigens die Mutter der Schwestern, Ann Winley, mit einem Funk-Song zu hören. HipHop war eben schon immer Familiensache.
Tanya und Paulette veröffentlichten eine weitere gemeinsame Single, einen Funksong namens „I believe in the wheel of fortune“, der 1982 erschien. Zuvor hatte Tanya „Sweet Tee“ Winley aber bereits solistisch neue Maßstäbe gesetzt. Ihre Single „Vicious Rap“, die 1980 erschienen war, hatte sie einigen Quellen zufolge sogar schon ein Jahr vor „Rhymin‘ and rappin'“ aufgenommen – doch wissen wir alle, wie schwierig die Quellenlage um die Ursprünge im HipHop ist. Da nur selten jemand die ersten Schritte der damaligen Künstler:innen und Aktivist:innen direkt dokumentierte, basiert die HipHop-Geschichtsschreibung zu oft nur auf Erinnerungen.
Was man „Vicious Rap“ jedoch nicht absprechen kann: Der Song gilt als einer der ersten sozialkritischen Rapsongs aller Zeiten. Er thematisiert alltäglichen Rassismus, insbesondere Racial Profiling und Unterdrückung – und könnte thematisch auch 40 Jahre nach seiner Veröffentlichung kaum aktueller sein. Doch schon 1980 inspirierte der Track zahlreiche MCs, die Sweet Tees Beispiel folgten und in die Booth steppten. Rapperin Neneh Cherry sagte in einem Interview mit The Guardian, „Vicious Rap“ habe sie „das Licht sehen“ lassen:
„It was raw – it felt like she had delivered her words in two takes, on fire. It had a quality like Aretha Franklin had, or Patti Smith had. Sweet Tee had power and independence: total ownership of the space she was in as she was doing it.“
Musikredakteur Fabian Wolff nannte „Vicious Rap“ gegenüber der BBC sogar als einen der besten Rapsongs aller Zeiten.
Sweet Tees vielversprechende Rapkarriere endete mit dem Konkurs von Winley Records, dessen Auslöser angeblich ein Rechtsstreit mit Afrika Bambaataa war. Doch während bei männlichen MCs oftmals ein einziges Release ausreicht, um Legendenstatus zu erreichen, wird die Pionierinnen-Rolle von Sweet Tee gern völlig vergessen und findet in nur wenigen HipHop-historischen Werken Erwähnung.
Übrigens ist Tanya Winley nicht die einzige MC, die unter dem Namen Sweet Tee Bekanntheit erlangte: Ab 1986 sollte eine weitere Sweet Tee, die auf den bürgerlichen Namen Toi Jackson hörte, die Billboard-Charts entern. Doch ihre Geschichte verdient selbstredend ein eigenes Portrait.