HipHop aus den brasilianischen Favelas dient als Sprachrohr für viele Künstler:innen und Anwohner:innen, um auf politische wie gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. In ihren Communities kommen sie für Rap-Battles, Cyphers, Graffiti und Breakdance zusammen. HipHop ist hier viel mehr Philosophie als nur ein Genre. Die Zwillinge Tasha und Tracie Okere gehören ebenfalls dieser Bewegung an. Als Mode-Designerinnen, DJs, Party-Veranstalterinnen und Rapperinnen verleihen sie der Favela São Paulos nicht nur eine Stimme – sondern ein Outfit, einen Klang, kurz: eine ganz eigene Identität.
Für die 24-Jährigen fing alles mit einem Mode-Blog an. Sie sahen ihr Viertel in der Fashion-Welt nicht repräsentiert. Luxus-Marken, teure Sneaker, saisonale Trends – all das kann sich kaum jemand aus ihrer Community leisten. Statt einem Klassen-Ideal nachzueifern, kreierten die beiden einfach ihren individuellen Look: Sie durchstöberten sämtliche Kleiderschränke von Familie und Freunden und zogen durch die Second-Hand-Shops der Nachbarschaft. Mit Schere, Nadel und Faden entwarfen sie ihre persönlichen Kollektionen. Von den Ergebnissen stellten sie Fotos auf ihren Blog „Expensive $Hit“ online, welchen sie mithilfe des Internetzugangs eines Freundes betreiben konnten. Damit wollen sie zeigen, dass jede:r ein modisches Statement setzen kann. Ein Outfit soll die eigene Identität und nicht das Geld auf dem Konto repräsentieren.
Aus diesem Schaffensprozess entwickelte sich schnell eine ganze Bewegung aus Mode, Musik und Kunst. Insbesondere schwarze Frauen aus den Favelas in São Paulo möchten die Schwestern empowern. Tasha & Tracie begannen, Partys in ihrer Umgebung zu organisieren, und kuratierten diese selbst als DJs. Dem brasilianischen Magazin hellmoto erklären sie die Motivation dahinter: „Es ist ein Dezentralisierungsprojekt. Wir brauchen zwei Stunden, um zu einer Party in die Innenstadt zu gehen. Warum nehmen sich die Leute nicht die gleiche Zeit, um hierher zu kommen?“
Neben all ihren künstlerischen Aktivitäten bleibt ihnen sogar noch Zeit für Rap und Musik-Produktion. 2019 veröffentlichten sie die gemeinsame EP „Rouff“ mit der brasilianischen Rapperin Ashira. Es folgten weitere Features sowie ihre Solo-Singles „Poco“ und „Agouro“. Wie auch im modischen Schaffen, entfalten sich die Zwillinge in ihrer Musik völlig frei, weit entfernt vom Mainstream. Sie kombinieren klassischen Rap mit Elementen aus Trap, Samba und 90s-Pagode. So entsteht ihr rhythmischer Sound, der in warmen Sommernächten durch die Straßen hallt und die Massen zum Tanzen bringt.
Tasha & Tracie wollen auch in Zukunft Musik rausbringen und gleichzeitig in neue Gebiete aufbrechen, zum Beispiel Dokumentarfilme drehen und als Stylistinnen arbeiten. Die beiden Schwestern spiegeln in ihrer Kreativität stets ihre Herkunft, Freunde, Familie und Nachbarn wider und dienen damit auch als Vorbild für eine Nachfolge-Generation aus den Vororten von São Paulo.