Dass Corona nicht davon abhält, ein überzeugendes Debätalbum zu produzieren, zeigt die 25-jährige Sängerin und Producerin Nathy Peluso. Bei der spanisch-argentinischen Künstlerin von einer Rapperin zu reden, wäre zu kurz gegriffen. Denn Nathy Peluso hat sich von Anfang an mehr als nur dem HipHop verschrieben. Das zeigt sich nicht erst auf ihrem ersten Longplayer „Calambre“ (dt. Krampf), mit dem sie im November für den Latin Grammy als beste Newcomerin nominiert wurde.
Seit ihrer Kindheit ist Nathalia Beatriz Dora Peluso musikalisch vielseitig beeinflusst worden und hat sich schon beim Hören auf keinen Stil begrenzt. Bis sie zehn Jahre alt war, wohnte sie mit ihren Eltern in Buenos Aires und wuchs zwischen US-amerikanischem Soul und Swing und lateinamerikanischer Folklore auf. 2005 emigrierte die Familie nach Barcelona. Das prägte auch ihren musikalischen Werdegang. Befreundet war sie in Spanien vor allem mit anderen Latinxs. So eröffneten sich neue kulturelle und musikalische Welten für die Argentinierin.
Als Teenagerin sang sie dennoch keine Salsa und Boleros, sondern trat mit Coversongs von Frank Sinatra und Nina Simone in Hotels und Restaurants auf. Für ein Studium der Pädagogik für Audiovisuelle Künste und Tanz ging sie nach Madrid, um es nach nur zwei Semestern wieder abzubrechen – um sich ganz auf ihre Musik zu konzentrieren. Kurz zuvor hatte Nathy Peluso eher durch Zufall angefangen zu rappen: Als Straßenmusikerin verdiente sie sich ihr Geld damit, innerhalb von zwei Minuten ein Gedicht zu schreiben, wenn die Zuschauer*innen ihr ein Wort vorgaben. Die entstandenen Gedichte konnte sie nicht singen. Stattdessen begann sie zu rappen. Aus diesen Interpretationen entstand ihre erste EP „Esmeralda“, die noch stark von LoFi-Beats und Rap geprägt ist. Das änderte sich, als die Argentinierin im November 2017 den Trap-Track „Corashe“ herausbrachte. Der wütende Break-Up-Track wurde ihr erster Erfolg und das auch, weil sich so viele Frauen in ihrem Alter mit dem Thema des Songs identifizieren konnten.
Mit ihrer zweiten EP „La Sandunguera“ widmete sich Nathy Peluso dann stärker lateinamerikanischen Einflüssen. Der namensgebende Track des Albums kreuzt HipHop und Latin-Soul. In den Lyrics spricht die Musikerin von den Vorurteilen, denen eine Latina ausgesetzt ist, und gibt intelligente und ironische Antworten. Mittlerweile handeln ihre Lyrics von Liebe, der Selbstbehauptung als Frau und ihrer Erfahrung und Identität als Latina. Oder eben auch davon, dass sie Bock auf Pizza hat. Nathy Peluso ist in ihren Texten wortgewandt, ironisch und hat einen Wortwitz, der besonders durch mehrsprachige Wortspiele getragen wird.
Doch nicht nur der vielfältige und experimentelle Sound machen Nathy Pelusos bisherige Musik einmalig. In manchen Tracks wirkt es fast so, als könne nicht nur eine Person hinterm Mikro stehen. Denn die Stimme der Argentinierin kann nicht nur verschiedene Genres interpretieren, sondern imitiert auch lateinamerikanische Akzente und erfindet teilweise eigene. „In mir finde ich verschiedene Frauen, verschiedene Stimmen“, sagte sie kürzlich der New York Times. „Ich liebe es, Charaktere zu erkunden“. Ein Merkmal, das smoothe Rhymes und intelligente Punchlines produziert, ist auch ihr Spanglish. So rappt Nathy Peluso unter anderem am Anfang des Tracks „I am a business woman“: „Mira, nene, óyeme: don’t play with my ass. Cause if you play with my ass. You will quemarte.“. Oder schafft Ausrufe wie „Shake your little culo, flaca!“ wie in „Kun Fu“.
Auf den zwölf Tracks ihres ersten Albums „Calambre“ verbindet Nathy Peluso erneut selbstbewusst Trap (Celebré), HipHop (Sana Sana, Business Woman), Soul ( Llamamé, Buenos Aires) und R&B („Trío“) mit lateinamerikanischen Genres wie Bolero (Agarrate), Salsa (Puro Veneno) und Reggaeton (Amor Salvaje). Das lässt nur auf vielversprechende weitere Alben hoffen. Und beim Tempo, dass Nathy Peluso in den letzten Jahren vorgelegt hat, dürfte eine weitere EP oder ein zweiter Longplayer nicht lange auf sich warten lassen.