Seit etwa 35 Jahren gibt es in Deutschland eine aktive HipHop-Szene. Lange bevor man auf Instagram internationale Stars von ihren ersten 16Bars-Selfievideos an begleiten konnte, gab es ein paar HipHop-Enthusiast:innen in Europa, die die frisch aus den Staaten herübergeschwappte Kultur auch hierzulande aufbauten. Eine von ihnen ist End Two, die sich ab Mitte der 80er Jahre als Writerin, Rapperin und DJ einen Namen gemacht hat.
End Two kommt als Silke Pfaffernoschke in Stuttgart zur Welt, verbringt ihre Kindheit und Jugend aber in Frankreich. Im Alter von 16 Jahren trifft sie in ihrem Wohnort bei Paris auf die noch junge HipHop-Bewegung. „Darco Gellert von der FBI-Crew war damals zufällig mein Nachbar“, erzählt End Two im Interview. Darco und Gawki hatten die deutsch-französische Graffiti-Crew Fabulous Bomb Inability da gerade frisch gegründet. Später sollten ihr weitere namhafte Graffiti-Artists wie Loomit und DAIM angehören. „Ich habe Darco beobachtet, wie er mit Sprühdosen losgezogen ist, und mich natürlich gefragt, was er da macht. Das hat mich unwahrscheinlich interessiert und getriggert, selbst aktiv zu werden.“ End Two besorgt sich also eigene Cans und fängt an, heimlich zu sprühen. Abgesehen von den FBI-Jungs ist sie damit allein auf weiter Flur – und sie zieht es vor, unerkannt zu bleiben. Dabei scheinen die ersten Graffiti-Versuche der Künstlerin in ihrer Nachbarschaft durchaus auf Respekt zu stoßen. „Ich habe mich damals Magic S genannt. Die anderen haben sich dann natürlich gefragt, von wem diese neuen Graffitis waren. Denen war ganz klar: Das muss ein Mann oder Junge sein. Niemand kam auch nur im Ansatz auf den Gedanken, dass ich das war. Selbst als ich immer mal vorbeischaute und ein Gespräch anfing …“
Etwa ein Jahr später zieht End Two nach München und vernetzt sich mit der hiesigen Szene um Gawki und Katmando. Erstmalig sprüht sie im Kreise anderer und auch im Rahmen legaler Graffiti-Aufträge. In dieser Zeit entsteht ihr Künstlerinnenname End Two – wenn auch eher unfreiwillig: Sie sprüht gerade einen Wholetrain – also einen kompletten Zug von End 2 End – als ihr die Farbe ausgeht, bevor sie das letzte „End“ malen kann. „Aber keiner kam auf die Idee, dass da ein Wort fehlt. Alle wollten nur wissen, wer End Two ist.“ Manchmal muss man sich seinem Schicksal wohl einfach fügen. Also ist die junge Writerin ab sofort als End Two unterwegs. „Mir war wichtig, dass meine Kunst unabhängig von meinem Geschlecht beurteilt wird. Dafür war der Name perfekt. Die Leute sollten nicht wissen, ob ich ein Mann oder eine Frau bin. Das hat im Graffiti und DJing gut funktioniert. Im Rap ging das dann natürlich nicht mehr.“
Ohne Ghettoblaster geht End Two zu keinem Graffiti-Auftrag. Neben der Arbeit auch mitzurappen gehört für sie ganz selbstverständlich dazu. Von einem Passanten wird sie daraufhin auf ihre Rap-Skills angesprochen und zu einem Open Stage-Event für Rap-Crews im Schwabinger Bräu eingeladen. Fertige Texte hat die Künstlerin da noch nicht, inspiriert von Roxanne Shante will sie es sich jedoch nicht nehmen lassen, auf die Bühne zu gehen. So schnappt sie sich ihren Kollegen Turbo B, der später als Teil der Eurodance-Kombo Snap! Bekanntheit erlangen soll und an diesem Abend für sie als Beatboxer einspringt. End Two rappt auf Deutsch, Französisch und Englisch und holt sich den dritten Platz. Ihre Mehrsprachigkeit kommt ihr in einer Zeit, in der eigentlich ausschließlich auf Englisch gerappt wurde, natürlich zugute. „Ich konnte auch innerhalb der Zeilen die Sprache switchen. Allerdings fanden es damals alle scheiße, auf Deutsch zu rappen. Damit bin ich also am Anfang eher sparsam umgegangen.“ Der Auftritt bringt ihr nicht nur den Respekt der Szene, sondern auch erste Medienaufmerksamkeit ein. Von diesem Moment an ist End Two vom Mic nicht mehr wegzukriegen. Sie vernetzt sich mit anderen Musiker:innen. Gemeinsam mit Double K, der später als Rapper auf der Eurodance-Version von „Tom’s Diner“ zu hören ist, gründet sie die International Posse, mit der sie zwei Jahre lang nationale und internationale Shows spielt.
Ende der 1980er kommt Michael Reinboth auf die Rapperin zu und fragt sie für den ersten deutschen HipHop-Sampler „Krauts with Attitude“ an. Hier gibt End Two ihr mehr als siebeneinhalbminütiges Studiodebüt mit dem Song „My Name is End Two“. Damit tritt die Wahl-Münchenerin als Solo-Künstlerin in die Öffentlichkeit. Ihr Talent schlägt Wellen und End Two wird eines der bekanntesten Gesichter der wachsenden deutschen HipHop-Szene.
„In den Anfangstagen war ich eine von nur wenigen Frauen – ich selbst kannte in meinen ersten Jahren im HipHop kaum eine andere. Cora E habe ich erst später getroffen. Entsprechend groß war das Interesse an mir. Das Image von HipHop war damals nicht sonderlich gut – wir waren alle als Schmierer und Randalierer verschrien. Wir hatten nicht nur ein schönes Leben, sondern mussten auch zeigen, dass wir als Künstler ernstzunehmen sind.“ Dennoch ist das Interesse an der neuen Jugendkultur groß. So wird End Two als Gesprächspartnerin in Fernsehsendungen eingeladen, zum Beispiel von Jürgen von der Lippe. Da sie keinerlei Scheu vor der Kamera zeigt und sich zudem als äußerst eloquente Gesprächspartnerin entpuppt, wird sie schließlich selbst zur TV-Persönlichkeit: Als das ZDF für eine Jugendsendung eine Moderatorin sucht, wird End Two zum Casting bestellt. Völlig unvorbereitet setzt sie sich in den Zug – und reißt ab. Von 1992 bis 1993 pendelt sie für die „wake up Show“ zwischen München und Mainz.
Doch auch der Musik bleibt sie treu. Mitte der 90er klingelt ihr Telefon, der Manager von Jürgen Drews ist am Apparat und fragt sie für ein Feature an. Und End Two? Lehnt ab. Ihr Terminkalender ist zu voll, Drews ihr zu poppig. Bei ihm stößt die Absage auf Unverständnis – dass eine Künstlerin nicht sofort Feuer und Flamme ist, mit dem Star etwas zu recorden, passiert wohl nicht alle Tage. Sein Team fragt immer und immer wieder an, bis Drews selbst End Two ans Telefon bekommt und sie höchstpersönlich ins Studio einlädt. Hier entsteht der gemeinsame Song „Durch und durch“ unter der Auflage, dass End Two ausschließlich ihre selbstgeschriebenen Lyrics performt. „Das durfte ich dann auch. Auch wenn ich in meinem Part zum Teil gar nicht so nett zu ihm bin“, sagt sie heute und lacht. Die Realkeeper-HipHop-Szene reagiert mit gemischten Gefühlen auf den Song. Doch die Rapperin nimmt sich vorwurfsvolle Stimmen nicht zu Herzen: „Warum denn nicht? Wir haben nicht wirklich etwas gemeinsam, aber die Zusammenarbeit hat Spaß gemacht. Und ich konnte auf meinen Parts uneingeschränkt zeigen, was ich kann.“ Dank der Zusammenarbeit mit Jürgen Drews tritt End Two neben Artists wie Karel Gott, Nicole und Wolfgang Petry auch in der ZDF Hitparade auf. „Das war wirklich spannend, weil ich ja trotz allem einfach nur mein Ding gemacht habe. Ich bin nicht zum Popsternchen geworden, sondern habe nach meinen eigenen Regeln gespielt.“ Diese eigenen Regeln beinhalten für End Two auch einen Ausflug in die Techno-Szene: 2003 ist sie auf DJ Tomcrafts Song „La Chatte – La Salope“ mit einem französischsprachigen Part zu hören, der es in sich hat. Der Track soll das bis heute letzte Release der Rapperin sein.
Für die Künstlerin ist all das eine maximal intensive Zeit – das Leben in der Musik- und Medienbranche ist fordernd. All das passiert zudem während End Twos Studiums der Tiermedizin. Am Wochenende Jams, zwischendrin für das Staatsexamen lernen, später Moderationsjobs, Auftritte und Studiosessions, dazwischen die Promotion. Irgendwann ist für Silke Pfaffernoschke klar, dass sie sich entscheiden muss – für oder gegen eine Karriere als Musikerin. Ausschlaggebend ist für sie auf der einen Seite klar ihre Passion für den Beruf der Tierärztin. Auf der anderen Seite hat End Two nach Einblicken in Pariser Hinterhof-Jams, die Techno-Szene und die deutsche Hitparade ihre Zweifel an der Industrie. „Viele Leute in der Branche sind sehr künstlich. Ich stand viel vor der Kamera und habe Menschen getroffen, die nach Jahren in der Öffentlichkeit die Verbindung zu sich selbst verloren hatten. Diese Szene muss man auch verkraften können. Ich habe irgendwann beschlossen, dass ich das nicht mein ganzes Leben lang machen möchte.“
Ihre Liebe zu Rap hat sie durch die Welt gebracht – inklusive eines Drehs für die Marke West in Russland, wo sie gemeinsam mit Mika Häkkinen an einem Schwerelosigkeitsflug in einem Weltraumzentrum teilnahm. Auf ihre Projekte und Erlebnisse in der HipHop- und Musikindustrie blickt End Two bis heute gern zurück. „Ich war damals einfach eine leidenschaftliche HipHop-Aktivistin – und bin es wohl bis heute.“ Sprühdosen, Turntables und Platten gehören für die promovierte Tierärztin bis heute in einen gut sortierten Haushalt. „HipHop ist für mich auch eine Mentalität. Ich glaube, wenn man einmal auf diese Weise gedacht hat, macht man das für den Rest seines Lebens.“ Die HipHop-Kultur hat ihre Spuren in End Twos Leben hinterlassen – ebenso wie die Künstlerin ihre Spuren in der DNA der deutschen HipHop-Szene hinterlassen hat.
Alle Fotos stammen aus dem persönlichen Archiv von End Two – vielen Dank dafür!