HipHop ist ein internationales Movement – und Schlüsselfiguren wie Shirlette Ammons sind das perfekte Beispiel dafür. Geboren und aufgewachsen im sogenannten „Bible Belt“, einem sehr konservativ geprägten Gebiet im Südosten der USA, zog die Musikerin und Poetin mit ihrer Kunst weite Kreise. So ist sie unter anderem auf Releases von deutschen Acts wie sookee, Pyro One und Refpolk zu hören.
Ihre ersten künstlerischen Gehversuche wagt Shirlette Ammons als Kind gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Shorlette. Als „Crowd“ muss ein Maisfeld herhalten. An Kreativität mangelt es Shirlette in ihrem Heimatort Mount Olive im ländlichen Osten North Carolinas nicht. In der Kirche singt sie im Chor und trägt Reden in Gedichtsform vor, dazu beginnt sie bald, Kurzgeschichten zu schreiben und malt. Der Weg zu einer künstlerischen Karriere scheint ihr vorbestimmt.
So verwundert es wenig, dass Shirlette Ammons‘ Berufsbezeichnung inzwischen mehrere Slashes braucht: Rapperin/Poetin/Produzentin/Journalistin/Aktivistin. Ihre liebste Ausdrucksform ist und bleibt jedoch die Poesie. So studiert sie nach ihrem Schulabschluss Englisch mit Schwerpunkt Kreatives Schreiben in Raleigh. Parallel zu ihrem Coming Out als queere Frau gründet sie ihre erste Band, mit der sie zunächst einen Crossover-Musikstil mit Spoken Word-Elementen fährt. „I started making music because it gave me an opportunity to collaborate with other people and share ideas with people in that way”, sagt sie im Interview mit Paulette Beete für National Endowment for the Arts. Dieser Kollaborationsgedanke soll sich wie ein roter Faden durch Shirlettes Karriere ziehen. Zum einen schätzt sie daran laut eigener Aussage die neuen und fremden Perspektiven, die sich ihr eröffnen. Außerdem ist das gemeinsame Brainstorming ihr Rezept gegen kreative Stagnation.
Auf ihrem 2016 erschienenen, bis heute letztem Album „Language Barrier“ holt sich Shirlette deshalb für jeden Track einen anderen Featuregast ins Studio, mit dem Ziel, so viele Musikstile wie möglich zu vermischen und – anders als der Name es vermuten lässt – sämtliche künstlerische Barrieren zu überbrücken. Dabei ist Musik für die Künstlerin immer auch mit Aktivismus verbunden, wie sie im Interview mit Come Hear North Carolina zu verstehen gibt:
“Arts are important to elevating people’s voices. The arts are important to cultivating new ideas, and also to bringing people together – not in this superficial “we’re all the same way,” but in a way that celebrates all the differences that make us unique and important and valid. That’s something I think is inherent to a democratic society. I think that’s part of any framework of a place that is required to support and celebrate humanity. There’s no way you can support the intellectual growth of a place without supporting the creative growth of a place.”
Musik und Aktivismus eint laut Shirlette Ammons auch, dass sie dazu dienen, Erwartungen und Grenzen zu challengen und zu überwinden. Beides soll neue Räume erkämpfen, gerade für sie als schwarze, queere Frau. Mit diesem Anliegen im Hinterkopf gründeten Shirlette und Shorlette Ammons ihr gemeinsames Label SugarQube Records, das all jenen Künstler:innen, die nicht in feste Genre- und Gesellschaftsmuster passen, eine Plattform geben will.
Der Blick über den eigenen Tellerrand der künstlerischen Bubble ist für Shirlette Ammons Selbstverständlichkeit und Motivation zugleich. Ihre Releases sind größtenteils Konzeptalben, deren Hauptaugenmerk auf mehr Sichtbarkeit liegt – nicht nur für die Künstlerin selbst, sondern auch für ihre Kollaborateur:innen und musikhistorische Figuren, die ihr am Herzen liegen. So widmete sie der in den 1920er Jahren aktiven, ebenfalls queeren Künstlerin Gladys Bentley ein ganzes Album namens „Gladys Bentley“. Zur Zeit des Releases connectet sie sich auch mit sookee. Auf der Suche nach anderen feministischen MCs aus der ganzen Welt macht ihr Manager sie auf die Berliner Rapperin aufmerksam. Shirlette ist instantly Fan und heuert sookee zunächst für einen Remix an. Es folgen mehrere gemeinsame Touren und Collabo-Tracks sowie eine jahrelange Freundschaft, die als Musterbeispiel für gelebte Solidarität unter Rapperinnen gesehen werden kann.
Auch sechs Jahre nach ihrem letzten Album ist Shirlette Ammons nicht untätig. 2020 war sie auf Jaki Shelton Greens Album „A Litany for the Possessed” zu hören. Dazu steht sie immer noch regelmäßig auf Bühnen und vor Mikrofonen, lebt ihre verschiedenen künstlerischen Disziplinen und ihren Aktivismus aus – und ist damit HipHop pur. Auf sookees Album „Lila Samt“ stellte Shirlette Ammons die Frage „Who owns HipHop?“. Wir antworten hier mal mit Nas: „It’s yours!“