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Medusa TN

Medusa TN

Am 17. Dezember 2010 entzündete der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi in der tunesischen Stadt Sidi Bouzid seinen eigenen Körper. Seine radikale Protestaktion gegen die Willkür des Staates und Demütigung durch Behörden gilt als einer der Auslöser für den arabischen Frühling: Landesweite Massenunruhen und Protestaktionen erschütterten das autokratische System und breiteten sich in den nordafrikanischen Ländern aus. In Tunesien, Ägypten, Libyen und Jemen kam es sogar zu Umstürzen der autoritär herrschenden Präsidenten. Die tunesische Rapperin Medusa TN hat die Revolution miterlebt und erzählte im Interview, wie sich ihr Leben als Frau und auch als Rapperin durch diese Zeit verändert hat. 

Medusa TN wuchs in Nabeul an der Ostküste Tunesiens auf. Nachdem sie 2009 ihren Bachelor machte, zog sie in die Hauptstadt Tunis – mit dem Umzug fiel auch der Startschuss für ihre Musik-Karriere. Zu Beginn entdeckte sie damit lediglich ein neues Hobby für sich. Mit der Revolution in Tunesien änderte sich das jedoch schlagartig:

„When the revolution came, it became more serious. There weren’t many female MCs, but i found out, that many women listened to my music. Quickly, i was invited to a lot of conferences and workshops.“

Vor dem arabischen Frühling hätte sich Medusa TN nicht vorstellen können, diesen künstlerischen Weg einzuschlagen. „It was always a challenge to do HipHop in Tunisia,“ erzählt sie. Auf ihre Familie konnte sie jedoch immer zählen: Während ihre Eltern sie in all ihren Vorhaben unterstützte, erwies sich ihr Bruder als größte Inspiration. Als persönlicher Breakdance-Lehrer brachte er sie mit HipHop zunächst übers Tanzen in Kontakt. Aus dieser Geschichte stammt auch ihr Künstlerinnen-Name: Als junge Frau und B-Girl trug sie Braids und ließ die Zuschauer:innen durch ihre Performance aus Begeisterung zu Stein erstarren. Das TN hing sie mit der Zeit an ihren Namen an, weil Google ihren Output sonst komplett geschluckt hätte.

Außerhalb des familiären Kreises stieß Medusa TN mit ihrem neuen Hobby jedoch auf Inakzeptanz und Diskriminierung. Der arabische Frühling brachte schließlich eine Umdeutung von HipHop mit sich: Viele kreative Protestler:innen nutzten Rap jetzt als Sprachrohr für politische Statements, um die Aufmerksamkeit auf die sozialen Ungerechtigkeiten ihres Landes zu lenken. Auch Medusa TN war Teil dieser Entwicklung:

„I’m commited. My music is very engaged. I always talk about problems and critizise the politics and social issues. I critizise the males in my country, who are very macho.“ 

Medusa TN ging schließlich als eine der wenigen weiblichen und damit auch feministischen MCs ihres Landes hervor. 2014 veröffentlichte sie über Jakarta Records mit acht anderen Frauen aus dem arabischen Raum das Kollabo-Album „Sawtuha“. Ihr darauf vertretener Song „Naheb N3ch Hyati“ erzählt, wie ihr Leben nach der Revolution aussehen wird und welche Pläne und Träume sie dafür in Angriff nimmt. Für den Song arbeitete sie mit Olof Dreijer von The Knife zusammen, womit sie sich auch in Schweden einen Namen machen konnte.

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2017 zog Medusa TN nach Frankreich und lebt heute in der Nähe von Paris. Seit dem Corona-Lockdown geht sie wieder ihrer Arbeit als Ingenieurin nach und beendet nebenbei ihr Studium. Nichtsdestotrotz bleibt sie ihrer Muse HipHop treu und arbeitet an einem neuen Album. Die Sterne in ihren Augen verraten, wie sehr sie das Reisen, Konzerte und Treffen auf andere Künstler:innen vermisst.

Medusa TN ist es gewohnt, sich mit Künstler:innen und insbesondere Frauen zu vernetzen. Wie selbstverständlich erzählt sie von ihren zahlreichen Kollaborationen, Kollektiven, Speakerinnen-Jobs und Workshops, die Frauen dazu empowern sollen, ihre Stimme zu erheben und Rap als passendes Sprachrohr zu wählen. Nach dem Umzug nach Frankreich fiel ihr auf, dass es in der dortigen Musikindustrie und HipHop-Szene kaum einen Unterschied zu Tunesien gibt. Auch in Frankreich und Europa sehe sie eine ähnliche Ungleichheit und Diskriminierung von Frauen im Rap. Damit wollte sie sich nicht zufrieden geben. Sie gründete das Kollektiv Call me Femcee, ein weiteres Kollektiv in Detroit und vernetzt sich mit Frauen in der ganzen Welt. So entstand auch das Feature „Das Wort“ mit der deutschen Rapperin Melii. 

Aktuell arbeitet Medusa TN an einem neuen Album, das voraussichtlich im September 2021 erscheinen wird. Wie bisher rappt sie dort auf englisch, französisch und arabisch. Thematisch geht es jedoch in eine persönlichere Richtung. Die engagierte Rapperin will einfach von ihrem Leben erzählen, von Liebe, ihren Freund:innen und das, was sie stark macht. Auch musikalisch schlägt sie einen neuen Weg ein und versucht sich an experimentellem Trap statt klassischem BoomBap. Uns erwartet also eine große Überraschung, die sich auf jeden Fall empowernd, technisch versiert und lyrisch wertvoll anhören wird.

Medusa TN – Gangsta feat. KrimsThe Future
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