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Kaleo Sansaa im Interview

Kaleo Sansaa im Interview

Rapperin und Sängerin Kaleo Sansaa verzaubert mit ihrem einzigartigen Sound „Solar-Based HipHop“ immer mehr Menschen. Die preisgekrönte Nachwuchskünstlerin veröffentlicht nach ihren zwei EPs „Purple Moon“ und „Paradise Not Lost“ Ende März ihr erstes Album „SOLARBASED KWING“. Letzten Freitag erschien daraus bereits die Single „PAY Mi IN CASH“.

Von #FreeBritney zu Selbstfürsorge: Das knapp zweistündige Gespräch verging wie im Flug. Wir sprechen über rassistische Strukturen in der Musikszene und wie sich Kontinuitäten des Kolonialismus bis heute ziehen. Radikal ehrlich, reflektiert und pointiert teilt Kaleo Sansaa ihre Gedanken zur Pandemie sowie ihrer Albumproduktion mit uns.

Liebe Kaleo – schön, dich zu sehen und zu hören. Wie geht’s dir, wie war dein Tag?
Mein Tag war ganz gut. Ich lerne gerade, Tage zu strukturieren beziehungsweise disziplinierter zu sein und auf mein inneres Gefühl zu hören. Ich versuche zum Beispiel, Screentime zu reduzieren, weniger Scandal zu schauen, mehr zu schlafen, mehr Bewegung oder auch meine To-Do Listen besser zu strukturieren. Manchmal komme ich mir vor wie ein Loser, da ich tausend Sachen aufschreibe und dann nur vier davon schaffe.


Besonders jetzt im (Teil-)Lockdown ist es ohnehin schwer, etwas zu planen. Wie geht es dir aktuell mit der Pandemie?
Es gibt auf jeden Fall zwei Gefühle: humbling und grounding. Zum einen bin ich privileged as fuck! Wenn du positive Auswirkungen des Lockdowns empfinden kannst, dann bist du schon sehr privilegiert. Vielen anderen geht es gerade richtig dreckig.
Für mich persönlich ist es eher grounding, also eine erdende Erfahrung. Ich erlebe aus der Makroperspektive, wie zumindest der globale Norden zum Stehen kommt und ich mich selbst frage, was wichtig ist. Für mich bedeutet das, dass man mental klarkommt, ein Dach über dem Kopf hat, die Familie da ist. Viele Pläne fanden wegen Corona nicht statt, aber einiges habe ich auch von mir aus abgesagt. Ich hatte Zeit, um festzustellen, dass ich vieles gar nicht für mich oder für das, wofür ich eigentlich Musik mache, tue. Grounding und humbling. Ich fühle mich authentischer und klarer als je zuvor – gleichzeitig bin ich unsicher wie noch nie, was meine musikalische Laufbahn, Projekte und Finanzierung angeht.


Bald erscheint dein erstes Album. Über die erste Single-Veröffentlichung „Flowa Powa“ aus deinem kommenden Album hast du gesagt, dass du das Lied zwar weit vor der Pandemie geschrieben hast, aber der Inhalt „radikales Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen“ erst jetzt die große Bedeutung für dich erhalten hat.

Das war eher so ein Perspektivenwechsel. Als ich das damals geschrieben habe, hatte ich konkrete Ziele im Blick, die ich alle verwirklichen will – zum Beispiel in Nigeria zu spielen. Durch die Pandemie hat sich die Bedeutung erweitert. In Nigeria spielen will ich immer noch, aber jetzt geht es für mich mehr darum, eine Konstante in meinem Leben aufzubauen. Ich möchte in kleinen Schritten arbeiten und irgendwann ernten. Es gibt die Blumen, aber zuerst musst du in der Erde graben, pflegen und abwarten. Ich versuche, jeden Tag kleine Rituale zu machen, die mich auf allen Ebenen konzentriert halten. Sich fertigmachen, rausgehen, jeden Tag jemanden anrufen …


Eine nette Stimme hören …
Ja, genau, Wege rausfinden. Zum einen die Resilienz der Kollektive – aber auch die Stärke der Einzelnen. Es zu schaffen, sozial zu sein, sich nicht nehmen lassen, dass wir uns irgendwie halten können.


Du hast bereits Konzertabsagen aufgrund von Covid-19 erwähnt. Wie hast du die Auswirkungen der Pandemie auf dich und dein Umfeld wahrgenommen?
Auf künstlerischer Ebene konnte ich wieder einen Fokus finden. Ich möchte mehr an meiner Stimme arbeiten oder auch neue Lieder einüben, bin aber gleichzeitig mit vielen organisatorischen Dingen beschäftigt. Live-Auftritte sind immer mit viel Organisation verbunden. Deshalb war es gut für mich, endlich den Raum zu haben, um reflektieren zu können, was ich mache und was ich ausdrücken möchte.
Finanziell war es für mein Team und mich sehr schlimm und herausfordernd. Wir hatten eine Festival-Tour geplant – die fast ausnahmslos abgesagt wurde. Es ist gerade schwer, Zukunftspläne zu schmieden, die wir kontrollieren können. Die Motivation fehlt, weil unsere Arbeit keine Ergebnisse hervorbringt. Das Album konnten wir zum Glück verschieben. Das hätte im Dezember kommen sollen. Covershooting und ein Videodreh wurden abgesagt. Und vieles bleibt für mich und mein Team ungewiss.


Ich hatte schon die große Ehre, in dein Album „SOLARBASED KWING“ reinzuhören, und ich liebe es. Ich höre es seit Wochen rauf und runter.
Was sind deine Lieblingssongs?

In „Flowa Powa“ habe ich mich sofort verliebt. What a song! Aber „Big Boy“ und „PAY MI IN CASH“ sind auf jeden Fall ganz oben mit dabei.
Nice – das sind auch mit meine Favoriten. Bei mir sind es „PAY MI IN CASH“ „Big Boy“ und „Black Light“. Und „Flowa Powa“ auch. Und auch … Ok, ich liebe alles!


Im Unterschied zu deinen bisherigen Veröffentlichungen ist das Album traplastiger und düsterer. Wie war die Produktion, hat sich in deiner bisherigen Herangehensweise etwas geändert?
Auf jeden Fall. Technisch hat sich etwas verändert. Bei „Purple Moon“ habe ich fast alles mit der Kalimba und meiner Loop Station gemacht. Bei „SOLARBASED KWING“ habe ich viel mit Ableton gearbeitet, um Melodien zu erstellen – es ist also viel durch elektronische Keyboards entstanden. Ich habe hier und da auch die Loop Station genutzt, wie zum Beispiel bei „Mother Of The Sun“. Wie „Purple Moon“ habe ich auch „SOLARBASED KWING“ mit dem wundervollen Loy Beatz produzieren können. „Black Light“ hat Loy Beatz zum Beispiel aus einem Sample von „Brown Soil“ produziert.

Das ist mir nicht aufgefallen.
Hör‘ dir beide nochmal direkt nacheinander an. Ein weiterer Unterschied ist, dass ich meinen Wunsch verwirklichen konnte, mehr zu rappen. Wenn ich auf der Bühne bin, habe ich immer den Drang, das zu tun. Bisher habe ich mich noch nicht so getraut. Bei der Albumproduktion habe ich mit „Mother Of The Sun“ angefangen und dachte, mehr HipHop kann ich nicht aus mir rausbekommen. Dann kam ein Lied nach dem anderen und ich habe gemerkt – das ist die Vision!


Meistens machst du Beats und Produktionen selbst.
Ich produziere eigentlich fast immer mit Loy Beatz (Luca Hauptfleisch). Beim Jammen oder im Proberaum kreiere ich Loops oder bestimmte Melodien und schreibe darauf. Nach dem Vorproduzieren gehe ich zu Luca, und wir vervollständigen gemeinsam meine Ideen.


Auf „Big Boy“ gibt es viele Britney Spears-Verweise. Wie kam es dazu?
Free Britney! Wenn ich das Album promote, werde ich auf jeden Fall den #FreeBritney benutzen. „Big Boy“ habe ich über mein acht- oder neunjähriges Ich geschrieben. Ich habe als Kind superviel durchgemacht. Das hat dazu geführt, dass ich sehr wütend war. Eine tickende Zeitbombe, die sich mit den Jungs geprügelt hat, wenn ihr wer querkam. Gleichzeitig wurde ich gemobbt und habe versucht, mich zu wehren. Es hieß oft, dass ich nicht girly genug sei und mich wie ein Junge verhalte. Als Kind habe ich mich wahnsinnig dafür geschämt. Das war die Zeit, als Britney Spears mit „Crossroads“ rauskam. Diese Verkörperung von Weiblichkeit zu dieser Zeit war das, was ich wollte. Aber ich war das krasse Gegenteil davon. Angry – mit einer Stimme, tief as fuck. Immer wieder wurde mein Tom Boy-Dasein kritisiert. Aber jetzt merke ich: ‚Why though, I was a feminist’s fucking dream!‘ Jetzt feiere ich mich und schreibe ein Lied für die Achtjährige. „Big Boy“ ist eine Zelebration dieser Stärke, der weiblichen und kindlichen Wut, die ich als Kind hatte, aber nie offiziell haben durfte, als Mädchen.


Diese Linie des kritischen Empowerments zieht sich weiter, zum Beispiel bei „Pay Mi In Cash“. Du forderst, dich, deine Schwestern und deine Vorfahren zu bezahlen.
Ich habe vorletztes Jahr angefangen, an dem Lied zu schreiben. Ich war frustriert, mit welcher Unverschämtheit manche Veranstalter:innen dich, vor allem als Newcomer:innen und besonders als Women*of Colour, angehen. ‚Wir haben zwar kein Budget, aber kannst du bei uns spielen?‘ Wenn ihr kein Budget habt, fragt mich nicht an. Es geht nicht um die eine Stunde, die du auf der Bühne stehst. Rechnest du die Proben davor, DJ buchen, die Anreise und so weiter zusammen, investierst du knapp eine Woche. Es geht um Wertschätzung, Fairness und Respekt.


Aber du willst noch mehr ausdrücken.
Es sind so viele Faktoren, die da mitspielen: Wie und wer bezahlt wird oder wie und wer sichtbar gemacht wird. Ich bin der Meinung, dass Schwarze Menschen lange genug kostenlos für diese Welt gearbeitet haben. Fast alles in der Musikindustrie beruht auf Schwarzem Wissen: Schwarze Musik, Schwarze Philosoph:innen, Schwarze Denker:innen haben Musik erschaffen, werden aber von der Musikszene verdrängt und unsichtbar gemacht. Und wenn sie doch sichtbar sind, dann unfair bezahlt. Was ist hier los? Stopp!

Wenn ich aus einem Genre radiert werde, das meine Ancestors erschaffen haben, dann stimmt da was nicht. Deswegen war es für mich wichtig, zu sagen: ‚When you pay me, you pay my sisters, you pay my ancestors‘. Diese systematische Ausgrenzung ist eine Fortsetzung des Kolonialismus. Das ist natürlich nicht dasselbe. Mir geht es super, ich wurde nicht genozidal ausgelöscht wie in Namibia. Das sind Kontinuitäten, die Levels haben, aber zusammen gedacht werden sollten. Es ist ein dekolonisierender oder kolonialisierender Akt, wenn du eine Schwarze Person bezahlst oder eben nicht.

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Rassistische Strukturen thematisierst du auch in deinen „Flowa Powa live Series“ auf deinem Instagram-Channel, zum Beispiel in dem Gespräch mit Emilene Wopana Mudimu. Es geht darum, als Expertin geladen zu werden, dafür jedoch keine finanzielle Entlohnung zu erhalten.
Die erste Ebene ist, dass du nicht bezahlt wirst. Die zweite ist die Ausbeutung von geistigem Wissen. Übernächste Woche schreibt dann ein weißer, rassismuskritischer Wissenschaftlicher ein erleuchtendes Buch über Critical Whiteness, und wir denken uns: ‚Das haben wir doch schon gesagt und erfunden‘.


Um nochmal zu deinen wundervollen „Flowa Powa live Series“ zurückzukommen: Wie viele Folgen hast du noch geplant?
Ich war anfangs so ein bisschen im Zwiespalt, wie ich das nennen soll. Ich wollte das jenseits von „Flowa Powa“ machen, damit das nicht zu sehr an den Titel geknüpft ist und ich das immer weitermachen kann. Vielleicht werden sie anders heißen, aber es sind demnächst wieder ein paar Sachen geplant. Letzte Woche habe ich „Pay Mi In Cash“ veröffentlicht und nehme das zum Anlass, wieder neue Talks zu produzieren.

In dem Format sprichst du mit Künstler:innen und Aktivist:innen. Du hast zu deinem Gast Thee Bacci gesagt, dass du so viele Menschen entdeckst und glücklich bist, dass diese existieren. Magst du Namen nennen? Wer inspiriert und empowert dich?
Das klingt jetzt nach Klischee – aber meine Oma. Wegen ihr fing ich an, mich in Musik zu verlieben. Sie ist während der Kolonialzeit aufgewachsen, hat in dieser Zeit eine Familie gegründet und durchgebracht. Sie ist the most hard working person I know. Zu Personen, die mich aktuell inspirieren – ich liebe, liebe, liebe Flohio, Princess Nokia und Lil‘ Lil‘. Auch Rico Nasty oder Jungle Pussy, weil sie neu sind und jetzt gerade Sachen erschaffen. Das inspiriert mich des Todes. Aus Sambia feiere ich Künstler:innen wie Thee Baccy, Talé Sheezy, T-Low oder Tehillah J.


Liebe Kaleo – wir sind am Ende angekommen. Nach dem sehr prägenden und belastenden Jahr 2020 – was wünschst du dir für 2021?
Ich wünsche mir, dass alle geplanten Musikvideos und auch die Veröffentlichung klappen. Dass der Impfstoff zumindest für alle Risikopatient:innen zugänglich gemacht wird, dass Corona irgendwann kein Big Deal mehr ist und wir unsere Tour machen können!


Kaleo Sansaas Debütalbum „SOLARBASED KWING“ erscheint am 26. März 2021 und wird hoffentlich bald auch auf den Bühnen dieser Welt live gespielt werden können. Mehr Infos über Kaleo Sansaa gibt es im Porträt auf 365femalemcs.

Bild: Katharina Ziemkus

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