Als lapidare Selbstbeschreibung auf dem eigenen Facebook-Account „Pussyrapper“ angeben, sich die Zerschlagung des Patriarchats auf die Fahnen schreiben, und sich doch nicht auf feministische Themen festnageln lassen. Explizit, freizügig und durchaus aggressiv über Sexualität rappen, und sich dennoch privat als gute Zuhörerin und als eher konfliktscheu einschätzen. Sich nach der Personifikation der Ungerechtigkeit in der griechischen Mythologie benennen und zugleich für die Grünen in Helsinki bei den Kommunalwahlen antreten. Wer sich auf Adikia einlässt, sollte sich auf den einen oder anderen Widerspruch gefasst machen. Ihre eigene Geschichte ist voll davon.
Geboren 1990 als Kirsikka Ruohonen, hat die finnische Künstlerin schon als Kind hochfliegende Träume – und bereits hier zeigt sich eine gewisse Bandbreite: „Meine ersten Traumberufe waren Entdeckerin und Gladiatorin“, erinnert sie sich. Schon immer habe sie sich für Naturwissenschaften interessiert, besonders für Biologie. Die Musik packt sie allerdings ebenfalls schon in jungen Jahren: Seit sie zehn Jahre alt war, spielt Kirsikka Schlagzeug. Sie hört Soul, Funk, R&B und Rap. Vor allem Rap, und besonders dessen Spielart aus dem dreckigen Süden hat es ihr angetan.
Outkast und die Dungeon Family, UGK und die Ying Yang Twins sorgen aber auch für gehörige Irritation bei der jungen Finnin: „Ich mochte das Zugespitzte und den Zorn, der aus den Texten sprach.“ Allerdings hadert sie mit der Darstellung von Frauen: „Entweder Hure oder Heilige, dazwischen gab es nichts.“ Sie, die sich selbst das Ergebnis einer, wie sie sagt, „betont feministischen Erziehung“ nennt, kann und will das nicht unwidersprochen stehen lassen. Der Schwarz-Weiß-Malerei Graustufen hinzufügen, den Spieß umdrehen, Frauen aus den Objekten, zu denen sie zu lange und zu oft degradiert wurden, in selbstbestimmte Akteurinnen zu verwandeln: Das entwickelt sich zu ihrer Agenda.
Dabei deutet zunächst noch wenig darauf hin, dass Kirsikka dereinst selbst zum Mic greift. Auf die Idee, dass ihr Raptexte als Ventil dienen könnten, kommt sie mangels einheimischer Vorbilder erst im Erwachsenenalter. Finnische Rapper gab es kaum, finnische Rapperinnen noch weniger. Erst schwedische Kolleg:innen, die sie zu ihren Gymnasiastinnenzeiten entdeckt, bringen sie darauf, es auch einmal selbst und in ihrer Muttersprache zu versuchen. Dabei wiederum stehen ihr lange der eigene Perfektionismus und ihre hohen technischen Ansprüche im Weg:
2010 habe ich die ersten Versuche unternommen. Erst 2014 kam dann irgendwann der Moment, da ich am nächsten Morgen nicht mehr komplett scheiße fand, was ich nachts so aufgenommen hatte.“
via FUM
Bis zur Veröffentlichung ihrer Debüt-Single „Paha Narttu“ („Böse Schlampe“) ziehen noch drei weitere Jahre ins Land, danach geht es aber – zumindest für Adikias Verhältnisse – Schlag auf Schlag. Der EP „Limbo“ von 2017 folgt bereits ein Jahr später die nächste, „Kävi Täällä“, allesamt erschienen beim Indie-Label Rutilus Music. Ein Debüt-Album ist in Planung.
Ihr Faible für Dirty South bleibt ihr. Das Düstere in ihrer Musik betrachtet Adikia als Strategie, um mit ihren Aggressionen umzugehen. „Im Alltag bin ich eher umgänglich. Viele sind, wenn sie mich ‚in echt‘ treffen, überrascht, dass ich live gar nicht so gruselig bin“, amüsiert sie sich. Sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, ist ihr wichtig – vielleicht gerade deswegen, weil sie mit dem Ernst des Lebens schon früh in Berührung kam: Ihr kleiner Bruder erkrankte an Krebs, als sie in der Grundschule war. Mit 16 wird sie selbst krank, sie leidet an rheumatoider Arthritis.
Kein Grund für Adikia aber, sich ausbremsen oder gar aufhalten zu lassen: „Als Frau Rapperin zu sein, das ist ja per se schon ein feministischer Akt“, glaubt sie. Zudem einer, der dringend nötig ist: Wie unterrepräsentiert Frauen im Hip Hop sind, erfährt sie schon als Fan bei Rapkonzerten:
Die Leute gingen einfach grundsätzlich davon aus, dass ich nicht wegen der Musik da war, sondern, um meinen Freund zu begleiten oder weil ich auf der Suche nach einem Job sei. Jungs kamen an und erklärten mir ungefragt, wem ich da gerade zuhöre – auch wenn das mein Lieblingskünstler war.“
via YleX
Die Unterepräsentation von Frauen im Genre erklärt sich Adikia aus der Geschichte: HipHop wurzele nun einmal in einer männlich dominierten Gang-Kultur, deren Spuren bis in die Gegenwart zu spüren sind. Männer pushen sich gegenseitig, fördern ihre Homies, die eben meist ebenfalls Männer sind. „Frauen sind in aller Regel viel, viel schlechter vernetzt.“ Dagegen anzuarbeiten: fortan ein erklärtes Ziel.
2018 steht Adikia im Line-Up des Projekts D.R.E.A.M.G.I.R.L.S. Zusammen mit der hier ebenfalls involvierten Kollegin Mon-Sala ruft sie später das Projekt Matriarkaatti ins Leben. Die feministische, antirassistische Plattform soll mit Veranstaltungen, einer Clubnacht und einem Podcast weiblichen, trans und non-binären Künstlerinnen aus dem Rap- und R&B-Bereich eine Präsentationsfläche bieten.
Adikias Texte drehen sich um sexuelle Befreiung, Selbstbestimmung und -ermächtigung und darum, patriarchale Strukturen und Genderklischees aufzubrechen. Man könnte glatt denken, die Frau, die abseits der Musik als bildende Künstlerin arbeitet, habe im Feminismus ihr Thema gefunden. Nicht das einzige, allerdings. In ihrer Kandidatur für die Kommunalwahlen in Helsinki schreibt sie:
Ich denke, grüne Werte gehören zum Feminismus, so wie intersektionaler Feminismus ein wichtiger Bestandteil bei der Lösung der Klimakrise ist. In beiden Bereichen ist Basisarbeit essenziell, deshalb möchte ich auf kommunaler Ebene mitentscheiden. Kultur trägt wesentlich dazu bei, dass sich die Menschen wohlfühlen. Ich möchte nachhaltige Kunst schaffen, die die Stadt belebt und zugleich Rücksicht auf Mensch und Natur nimmt.“
via Helsingin Vihereät
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