Globalisierung und zunehmend tauglichere Übersetzungsprogramme ändern nichts daran: Die Sprachbarriere bleibt existent. Der Fall Yase führt es einem wieder einmal besonders deutlich vor Augen: Die Videos der türkischen Rapperin verzeichnen sämtlich Klickzahlen im sechs- bis siebenstelligen Bereich, das Portal Türkçe Rap feiert sie als den „strahlenden Star des türkischen Raps“. Wer des Türkischen nicht mächtig ist, hört und sieht hierzulande davon aber nichts.
Was ausgesprochen schade ist: Ihr melodischer, variantenreicher Flow nämlich beeindruckt durchaus auch, wenn man ihre Texte nicht versteht. Scheinbar mühelos sprudeln die Worte über ihre Lippen, auch Rhythmus-, Tempo- und Stimmungswechsel scheinen die Künstlerin vor keinerlei Probleme zu stellen. Ihre Videos lassen auf zweierlei schließen: Zum einen hat es Yase wirklich nicht nötig, mit einer übersexualisierten Selbstdarstellung von eventuell fehlenden Skills abzulenken: Sie beherrscht eben einfach, was sie da tut. Zum anderen verrät die Bildsprache der Clips eine tiefe Verwurzelung in der HipHop-Kultur.
„Ich habe schon als Kind Texte geschrieben“, erinnert sie sich gegenüber Türkçe Rap an ihre Anfänge. Den ersten Kontakt zu HipHop habe sie über Freunde in der Nachbarschaft gewonnen. „Als wir in Kadıköy wohnten [einem im asiatischen Teil der Stadt gelegenen Teil Istanbuls, d. Red.], habe ich viele ältere Brüder und Schwestern aus der Kultur gewonnen. Selbst eingestiegen bin ich aber aus eigenem Antrieb. Man kann sich nur mit Motivation aus dem eigenen Inneren Möglichkeiten schaffen. Es nützt nichts, wenn man es nicht für sich selbst tut.“
Erstmals eine breitere Öffentlichkeit erreicht Yase 2019 mit „Bela Adım“.
Dafür arbeitet Yase erstmals in professionelleren Strukturen. „Einen Vertrieb zu haben, ist zwingend erforderlich“, zeigt sie sich überzeugt. „So wurde es für mich einfacher, Leute zu erreichen. Davor habe ich von meinem MySpace-Konto gesendet – das waren finstere Zeiten!“ Die gehören inzwischen der Vergangenheit an: „Bela Adım“ verzeichnet inzwischen deutlich über sieben Millionen Aufrufe auf YouTube. Yase und ihr Publikum scheinen sich gefunden zu haben.
Wie bei vielen Kolleg:innen machen jedoch Corona-Pandemie und Lockdown 2020 zunächst einen dicken Strich durch alle hochfliegenden Zukunftspläne. Wie die meisten anderen auf Kochen und Fernsehen zurückgeworfen, versucht Yase, sich die Stimmung nicht vermiesen zu lassen: „Ich bemühe mich, trotz allem positiv zu bleiben“, sagt sie, „auch wenn unser soziales Leben quasi vorbei ist.“
Über Vorlieben, das Geheimnis des eigenen Erfolgs, ihre Verbindung zu Graffiti, und vor allem über Zukunftspläne lässt sich jedoch auch in dieser Situation sprechen. Yase gesteht in diversen Interviews ihr Faible für deutschen Rap auf der einen und für R&B auf der anderen Seite ein, macht „ein bisschen Glück, etwas Talent und Interesse an einem Job, den ich liebe und der mich immer wieder begeistert“, für ihren gelungenen Durchbruch verantwortlich – und zeigt sich dennoch alles andere als satt: „Ich finde, ich bin noch nicht erfolgreich genug“, erklärt sie völlig frei von falscher Bescheidenheit. „Ich habe noch einen langen Weg vor mir.“
Die ersten Schritte darauf hat sie längst geplant: Yase kooperiert mit verschiedenen Produzent:innen. Den bisher einzeln veröffentlichten Songs soll noch 2021 endlich eine erste, mindestens fünf Tracks starke, EP folgen, „wenn nichts schiefgeht“. Der für Januar angekündigte Track „Kardeş“ („Bruder“) erschien zwar erst Ende April – aber er erschien:
Abgesehen von ein bisschen Verspätung scheint Yase ihren Erfolgszug also planmäßig aufs Gleis gesetzt zu haben. Für alle, die vorhaben, ihr nachzufolgen, hält sie einen guten Rat bereit: „Stabilität und gesundes Selbstvertrauen sind wichtig, man darf sich nicht von den Kommentaren dummer Menschen beeinflussen lassen.“ Weitere Tipps? „Fleißig sein, früh aufstehen, sich gesund ernähren und sich selbst am meisten lieben“, so lautet ihr Selfcare-Rezept. Machen wir so!
