Dass die tragische Geschichte von K-Bo in der chinesischen Provinz Sichuan spielt, wirkt fast schon ironisch. Sichuan, das ist jener Ort, den viele in der ‚westliche‘ Welt nur aus Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ kennen – einem Werk, in dem der Dramatiker zum dem Schluss kommt: In einer schlechten Welt könne es keine guten Menschen geben. „Der gute Mensch von Sezuan“ erzählt eine Geschichte von Moral, Selbstverwirklichung, Leid und zu guter letzt auch vom Überleben. Genau darin besteht auch die Parallele zur Geschichte der Rapperin K-Bo. In den frühen Jahren der 2000er etabliert sie HipHop im chinesischen Mainstream und macht damit das Undenkbare zur Realität – bis sie 2010 ermordet wird. Die Lebensgeschichte von K-Bo löst Trauer und Wut aus, erinnert aber zugleich auch daran, welch wichtige Bedeutung eine einzige Frau für eine ganze Community haben kann.
Cui Feifei wird am 1. Januar 1982 im Chengdu geboren. Kaum kann sie sprechen, beginnt sie zu singen, immer und überall. Mit elf Jahren gewinnt sie ihre ersten Karaoke-Wettbewerb und träumt von der großen Karriere als international berühmte Sängerin. Im Jahr 2000 schlägt sie genau diesen Weg ein und nimmt das Studium am Sichuan Conservatory of Music auf. Seit diesem Tag kämpft K-Bo für ihren Traum und wird schnell zu einer angesehenen Produzentin, R&B-Musikerin und Rapperin, die nicht nur auf untergrundigen Rap-Events, sondern auch bei öffentlich angesehenen Pop-Veranstaltungen überzeugen kann. Obwohl sie mehr singt als dass sie rappt, entwickelt sie sich schnell zu einem festen Bestandteil der lokalen HipHop-Szene, wo sie nicht nur akzeptiert, sondern ihr auch viel Wertschätzung entgegengebracht wird — als eine von nur wenigen Frauen ist dies keinesfalls eine Selbstverständlichkeit.
Erste große Erfolge verzeichnet sie bereits 2003. Noch während des Studiums gewinnt sie den Top Ten Newcomer Award bei der Sichuan Newcomer Competition sowie den Top Ten Excellence Award bei der National Newcomer Competition. In Anschluss an ihr Studium beginnt sie 2004 am Sichuan Vocational Art College als Gesangslehrerin zu arbeiten, bevor sie kurze Zeit später auch als Musikpromoterin und -managerin ihr Glück versucht.
Cui arbeitet unentwegt für ihren großen Traum, der immer näher zu kommen scheint. Ab 2005 veröffentlicht sie regelmäßig gemeinsame Songs mit MC Guang, Uranu$, Kindergarten Killer und Kafe.Hu – einige der zu diesem Zeitpunkt relevantesten Rap-Artists des Landes. Auch wenn sie sich selbst nie wirklich als Rapperin bezeichnen wollte – weil sie nach eigenem Empfinden für die harte Rap-Szene viel zu soft war – knüpft sie nicht nur berufliche Beziehungen in der Rap-Branche, sondern auch ihre engsten Freundschaften. Hier und da versucht Cui sich bei nationalen Rap-Medien als Journalistin, 2009 wird sie als „Most Suprising Female Voice“ gekürt. Über die Jahre trägt sie viele Titel und Namen. Müsste man sich auf einen einigen, dann auf ihr Image als „Große Schwester des chinesischen Raps“.
K-Bo sieht sich selbst als Pionierin und als Vorbild für jüngere Mädchen, die den Einstieg in die zu diesem Zeit unpopuläre Musikbranche schaffen wollten. Um ihr ohnehin schon umfangreiches Wissen zu erweitern, beschließt sie im Jahr 2010, auch noch das DJing zu erlernen – und trifft damit eine Entscheidung, die ihr Leben maßgeblich verändern soll: Um von DJ-Profis zu lernen, geht K-Bo nach Shanghai, wo sie den Rapper Big Snake der Gruppe One Finger Group kennenlernt. Die beiden verstehen sich gut – in ihrem Tagebuch schreibt Cui von einem geschwisterlichen Verhältnis.
Im August 2010 tritt sie seinem neusten Projekt Meanwork bei und zieht dafür sogar
zu Black Snake und seiner Partnerin mit in deren gemeinsame Wohnung in Shantou. Auch zu dieser Zeit verfasst sie äußert wohlgesonnene Tagebucheinträge, die darauf schließen lassen, wie fröhlich und entspannt sich diese Zeit für sie angefühlt hat. Anfang September verändert sich Black Snake jedoch. Er wird zunehmend agressiver und sucht zunehmend mehr Streit. Zwar beunruhigt Cui diese Wesensveränderung, bedroht fühlt sie sich jedoch nicht, glaubt man ihrem Tagebuch.
Triggerwarnung für den folgenden Absatz: Mord. Solltest du dich mit diesem Thema gerade unwohl fühlen, lies diese Stelle am besten zu einem anderen Zeitpunkt oder überspringe sie.
Am 12. September 2010 nimmt die geschwisterliche Beziehung zu Black Snake jedoch ihre Wendung: Black Snakes Freundin verlässt die Wohnung, um Hilfe zu holen – ihr Freund verhalte sich seltsam und es müsse sich dringend jemand um ihn kümmern. Als Black Snakes Freundin nicht wie erwartet nach kurzer Zeit wieder in der gemeinsamen Wohnung eintrifft, tötet er K-Bo auf brutale Art und Weise und versucht im Anschluss, ihre Leiche zu beseitigen. Aus Respekt dem Opfer gegenüber verzichten wir an dieser Stelle auf eine detailliertere Beschreibung der Tat und des anschließenden Versuches, ihren Körper zu verstecken. Black Snake konnte seine Tat letztlich nicht geheim halten und wurde zu 15 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt – eine für die Grundsätze des chinesischen Systems sehr milde Strafe. Das Gericht begründet diese Entscheidung mit dem Umstand, dass Black Snake nicht nur unter Drogeneinfluss gestanden hätte, sondern auch mental nicht zurechnungsfähig gewesen sei. Freund:innen, Familie und auch Fans von K-Bo lehnen sich bis heute gegen das Urteil auf. Chat-Verläufe und auch öffentliche Diskussionen im Internet sollen laut ihnen belegen, dass Black Snake schon zuvor Streit gesucht habe und K-Bo mit Gewalt gedroht habe. Handelt es sich bei dem Mord an K-Bo um eine geplante Tat und nicht wie vom Gericht angenommen um eine Affekttat, so würde die Haftstrafe länger ausfallen – bis heute wird aber am ursprünglichen Urteil festgehalten.
Obwohl die Tat über zehn Jahre in der Vergangenheit liegt, verstummt die Fangemeinschaft von K-Bo bis heute nicht. Stattdessen setzen sie sich weiter für eine härtere Strafe ein und gedenken der „großen Schwester des chinesischen Raps“ in unzähligen Foren, Postings und anderen Beiträgen. Auch K-Bos engste musikalischen Begleiter, MC Guang und Kindergarten Killer, veröffentlichten in den vergangen Jahren unzählige Songs, die Cui gewidmet sind. Von Cuis eigenen Veröffentlichungen lässt sich heute nicht mehr viel ausfindig machen – was wohl auch mit Vertriebsrechten zu tun hat. Auch wenn ihr Leben viel zu kurz war, hat sie jeden Tag ihres Lebens genutzt, um die chinesische HipHop-Szene voranzutreiben – und der Rückblick zeigt, dass sie es zweifelsohne geschafft hat.