Lean Chihiro ist eine junge Rapperin aus Paris, die in ihren Songs englische und japanische Lyrics und Einflüsse vermischt. Die zwei Pole ihres künstlerischen Universums zwischen bonbonfarbener, japanischer Kawaii-Ästhetik und melancholischer Sad Boys-Internet-Culture, verbinden sich bereits in ihrem Artist-Namen. Sie selbst bezeichnet es als „halb trash, halb cute“.
„Lean Chihiro ist eine Art Referenz an Yung Lean, weil er mich wirklich sehr beeinflusst hat, als ich mit Musik angefangen habe. Seine Musik hat mich wirklich gepusht anzufangen, in meinem Zimmer zu recorden etc. … Es war also wegen ihm und wegen Chihiro aus „Chihiros Reise ins Zauberland“, weil mich die Filme von Studio Ghibli sehr inspiriert haben, seit ich klein war, ich bin ein großer Fan“, erklärt Lean im Interview mit Manifesto.XXI.
Die Anfang Zwanzigjährige Pariserin, die eigentlich Morgane Ebara heißt, stammt aus einer Künstler:innenfamilie, die sie von klein auf bestärkte, sich durch Gesang und Tanz kreativ auszudrücken. Ihr Vater rappt, ihre Mutter gestaltet Collagen und war Model, ihre Großmutter ist Schauspielerin. Im Alter von sechs Jahren sah Morgane zum ersten Mal einen Film des Animationsstudios Ghibli und entwickelte darüber ein reges Interesse für japanische Kultur, das noch befeuert wurde, als ihre Mutter ihr ein Buch über asiatische Geschichte schenkte. Mit acht Jahren brachte sich Morgane über das Internet bei, auf japanisch zu schreiben und nahm anschließend ebenfalls Unterricht.
„Ich bin echt in dieser Kultur aufgewachsen, weil ich nicht genug davon bekommen konnte, es war echt mein Hobby durch Bücher, Dokumentationen usw. zu beobachten, wie die Dinge in Japan laufen… Dann fing ich an, mich für japanische Musik zu interessieren.“ erinnert sie sich bei Manifesto.XXI. Ihr damals gewecktes Interesse für J-Pop hält bis heute an. Ihre Mutter zeigte ihr ebenfalls viel Musik verschiedenster Genres wie Soul, HipHop, Rap, Rock, Funk und Jazz. Als prägendste Einflüsse nennt Morgane Lauryn Hill und Erykah Badu.
Bereits in der Grundschule träumt Morgane von einer Karriere als Musikerin. Als Kind singt sie im Chor und denkt sich bereits eigene Lieder aus, mit 14 Jahren beginnt sie Songs zu schreiben und stellt Cover-Songs online, auch auf japanisch. Mit Beginn ihrer Zeit auf dem Gymnasium bekommt Morgane von ihrer Mutter zu Weihnachten ein Mikro geschenkt und beginnt in ihrem Kinderzimmer Musik aufzunehmen. Anfang 2017 stellt sie als Lean Chihiro ihre erste EP „Reborn“ auf SoundCloud. Mit ihrer Single „Summer Hunter“ im gleichen Jahr hat sie ihren ersten kleinen Internet-Hit noch bevor sie volljährig wird. Im Folgejahr bricht sie mit 18 die ihr verhasste Schule ab, um sich ganz ihrer Musik zu widmen. Es folgen das „Let me go“-Tape (2018) sowie die „Teenage Humanoid“-EP (2020), Live-Shows im In- und Ausland, Model-Jobs für internationale Marken sowie zuletzt ein Beitrag über sie in der Doku-Reihe „Girlhood, Frauen im Rap“ beim TV-Sender arte.
Lean Chihiros künstlerisches Schaffen ist regenbogenfarben und hat zugleich eine düstere Note. Ihre Outfits, Make-Ups, Coverartworks und Videos sind quitschig-bunt und fast schon überladen mit Elementen aus der Kultur Japans oder der Vaporwave-Szene. Die Beats ihrer Songs zwischen Cloud Rap und Soft Trap haben stets einen happy Vibe, welche die junge Künstlerin mit der charakteristischen pinken Frisur jedoch häufig mit eher traurigen Lyrics konterkariert.
„Ich spiele damit sehr viel in meinen Songs. (…) Die Leute bemerken gar nicht, dass die Texte traurig sind, weil das Universum des Songs genau das Gegenteil ist. Das gibt dann tatsächlich mich als Person wieder, denn auch wenn ich in einem cuten, fröhlichen, kindlichen Universum bin, bin ich manchmal recht sad und recht düster in meinem Charakter und meiner Persönlichkeit. Es ist einfach eine Mischung, die mich repräsentiert: Gleichzeitig ein bisschen trashy und cute“, erklärt sie selbstreflektiert bei clique.tv.
Ihre Texte behandeln entsprechend oft das Thema Selbstakzeptanz: „I don’t care if they think they better than me, everyone is special and especially me“, heißt es auf ihrem Song „Keep it up“, den sie neben einem Gastauftritt zu einen französischen Getränke-Werbespot beisteuerte. Mittlerweile wird Lean Chihiro bereits öfters auf der Straße erkannt und angesprochen. Auch darauf, dass Leute sich durch ihre Musik und ihre Art, sich durch ungewöhnliche und individuelle Outfits auszudrücken, selbst besser annehmen können.
„Es sind überwiegend junge, Schwarze Mädchen mit geringem Selbstvertrauen, die zu mir kommen und das ist das gleiche, was ich auch erlebt habe: Ein junges, Schwarzes Mädchen in einer weißen Umgebung zu sein. Sie fragen mich nach Rat und erzählen mir, dass sie sich wegen mir selbst empowern können. Das zu hören, macht mich sehr glücklich.“ freut sich die Pariserin.
Chihiro, die mit Rap-Kolleginnen wie Tommy Genesis und Princess Nokia befreundet ist, sieht sich ebenfalls als Teil einer neuen, weiblichen Musik- und Rap-Szene, die alte Strukturen und Ansichten ablöst. Im Interview mit clique.tv darauf angesprochen, sagt sie: „Female Rap wird schnell als dicke Ärsche und Twerking zusammengefasst. Ich würde gerne nur noch die Kategorie „Rap“ sehen, statt „male Rap“ und „female Rap“. Je mehr Girls es im Rap gibt, desto mehr werden die Leute verstehen, dass Rap nicht nur was für Typen ist und dass Mädels, die rappen keine… Huren sind. Ich bin hier, um meine Music zu verkaufen, nicht um meine Boobs zu shaken; und wir können alles ohne Typen machen.“