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Untergrund Platin: Henrike Ott im Interview

Untergrund Platin: Henrike Ott im Interview

Seit 2020 gehört Henrike Ott fest zum Illustrationsteam von 365 Fe*male MCs und prägt seitdem maßgeblich die Außenwahrnehmung des Projekts mit ihrer visuellen Handschrift. Wir haben nachgezählt: Mehr als 600 Artists hat sie für unseren Blog illustriert sowie zahlreiche Grafiken für unsere Events erstellt. Als wäre das nicht schon Grund genug für all die Liebe und Bewunderung, die wir Henrike gegenüber empfinden, haut sie einfach mal ein weiteres Herzensprojekt raus und entführt uns kurzerhand in die Welt des deutschen HipHop-Untergrunds.

Mit Untergrund Platin haben Bart Spencer und Henrike Ott ein einzigartiges Buch geschaffen, das den verborgenen Beats und Geschichten fernab des Mainstreams Raum gibt. In unserem Interview erzählt Henrike, die als Grafikdesignerin und Mit-Herausgeberin das Projekt entscheidend mitgestaltet hat, von ihrer Faszination für den Untergrund und was es bedeutet, an einem Buch zu arbeiten, das Herz und Seele der Szene einfängt. Über 70.000 Kilometer wurden zurückgelegt, um mit 38 Künstler:innen aus allen Bundesländern persönliche Einblicke in ihre HipHop-Sozialisation, ihre Motivation und ihre Inspiration zu gewinnen. Henrike spricht über Herausforderungen und emotionale Momente bei der Arbeit an diesem Werk, das mit Authentizität und Vielfalt besticht. Ab dem 15. November 2024 ist Untergrund Platin erhältlich – eine unverzichtbare Reise durch den HipHop-Underground, die nicht nur Fans der Musik, sondern auch alle Kulturinteressierten anspricht.

Cover Untergrund Platin mit (links) Heliocopta und (rechts) Hanna Noir

Henrike, bevor wir auf das Buch eingehen, eine wichtige Frage: Was hast Du eigentlich mit HipHop zu tun?

(Lacht) Danke für die Frage, aber das soll von mir aus die HipHop-Polizei entscheiden.

Ist vielleicht auch besser so, sich da rauszuhalten (grins). Morgen erscheint euer Baby „Untergrund Platin. Eine Reise durch Deutschlands Untergrundrapszene“. Wie fühlt sich das an?

Unwirklich! Ein physisches Produkt, auf dem noch dazu mein Name steht, ist nochmal anders überwältigend. Bei dem Buch kann jeder sofort sehen, dass ich ein Teil davon bin. Das macht mich wirklich sehr happy.

So soll es sein! Ich weiß, dass Du erst später zu dem Projekt gestoßen bist, als das Konzept von Fotograf Olaf (Bart Spencer) schon stand. Was war der ausschlaggebende Punkt für Dich, dass Du gesagt hast: “Ja, ich bin dabei”?

Das Buchkonzept ist tatsächlich zusammen mit Julia Gröschel entstanden: s/o an dieser Stelle. Als Musik-/HipHop-Fan liebe ich einfach jegliche Projekte, die mit Musik zu tun haben, und bei diesem Projekt wusste ich zusätzlich, dass ich sehr viel Mitspracherecht habe sowie in der Gestaltung weitestgehend frei bin. Das hat eine Zusage sehr leicht gemacht. Ich habe außerdem noch nie an einem Buchprojekt gearbeitet. So etwas Großes war eine willkommene Herausforderung.

Herausforderung ist schon das richtige Stichwort. Bevor ich darauf zurückkomme, würde mich allerdings interessieren, was Untergrund für Dich bedeutet? Warum dem ein ganzes Buch widmen?

Untergrund findet abseits vom Mainstream statt und ist deshalb weniger sichtbar. Ich fand die Idee schön, Künstler:innen Raum zu geben, die vielleicht nicht von allen gesehen und gehört werden. Ich habe gar keine richtige Definition von Untergrund parat. Für mich bedeutet es einfach Musik, die mehr oder weniger unter dem großen Radar stattfindet.

… und die wert ist, mehr Beachtung geschenkt zu bekommen. Das klingt absolut nachvollziehbar. Ihr habt tatsächlich keine Mühen gescheut, die Perlen des Untergrunds ausfindig zu machen. Insgesamt habt Ihr 38 Künstler:innen aus der gesamten Nation interviewt und ihnen dieselben elf Fragen zu ihrer Beziehung zur HipHop-Kultur, ihrer Sozialisation, zu Inspiration und Motivation gestellt. Erzähl uns ein bisschen über diesen Anfangsprozess: Wie habt Ihr die Auswahl getroffen? Nach welchen Kriterien seid Ihr vorgegangen?

Die Auswahl der Artists war gar nicht unbedingt ein Anfangsprozess, sondern zog sich bis zum Schluss durch das Projekt. Zu einigen Bundesländern fallen einem natürlich sofort etliche Künstler:innen ein. Bei anderen mussten wir schon unsere Netzwerke bemühen und recherchieren. Bei Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel mussten wir so tief graben. Da haben wir echt alle Quellen angezapft, die möglich waren, und haben letztlich dann Jing Jitsu ausfindig gemacht, die bis dahin gar keinen Streaming-Account hatte und auch gar nicht mehr im Game ist, wenn ich sie richtig verstanden habe. Den Spotify-Account hat sie sich tatsächlich vor kurzem im Zuge des Buches angelegt. Auch schön, dass das Buch bewirken konnte, dass sie ihre Musik zugänglich macht. 

Ein Teil der Artists stand schon, bevor ich überhaupt ins Projekt eingestiegen bin. Ansonsten haben wir vor allem nach eigenem Geschmack und letztlich Diversität entschieden. Wenn es also einen Platz zu besetzen gab und wir beide Vorschläge hatten, haben wir versucht, so zu entscheiden, dass unsere Auswahl möglichst vielfältig ist. Ich hoffe, das ist uns gelungen.

Wie war die Resonanz der kontaktierten Artists auf eure Anfrage? Gab es unerwartete Herausforderungen im Laufe der Zeit? 

Die Kontaktaufnahme hat in den meisten Fällen Olaf übernommen – einfach weil er derjenige war, der die Termine für die Fotoshootings koordinieren musste. Deshalb habe ich von den ersten Reaktionen leider nicht viel mitbekommen. Ich glaube aber, dass fast jede Person auf Anhieb begeistert war. Bei mindestens einer Person musste Olaf etwas hartnäckiger sein. Manche waren teilweise etwas unzuverlässig, und im Nachgang spürte man schon das ein oder andere Ego stark durchkommen, was wirklich manchmal nervig war. Artists, die beim Layout mitreden wollten, Künstler:innen, die unnötige und teilweise auch verletzende Kritik am Layout oder den Bildern äußerten, jemand, der kurzfristig vom Projekt abspringen wollten. Aber gut … wir haben es hier mit Menschen zu tun, und jeder hat mal schlechte Tage. Vielleicht haben wir bei der ein oder anderen Person manchmal einfach die nicht so guten Tage erwischt. Das ist auch okay. Am Ende haben wir es geschafft, dass das Buch mit allen geplanten Artists erscheint.

Ich habe es eben schon erwähnt: Ihr habt allen Artists dieselben elf Fragen gestellt. Das macht die Antworten und Reaktionen auch ein wenig vergleichbar, und gleichzeitig das gesamte Buch auch umso spannender. Die doch zum Teil sehr unterschiedlichen Antworten machen schnell deutlich, wie verschieden die Zugänge und Bezüge zu HipHop sind, und dennoch eint alle Artists ihre Liebe und Leidenschaft für dieselbe Sache: HipHop! Wie hast Du das wahrgenommen?

Es war schön zu hören, wie die Sozialisation mit HipHop jeweils stattgefunden hat. Das hat mich teilweise wieder in alte Zeiten zurückkatapultiert, weil es mich auch an meine Sozialisation erinnert hat. Ich habe einige Artists durch die Interviews sehr zu schätzen gelernt und war teilweise gerührt und erstaunt über die Antworten. Für das Buch mussten wir leider stark kürzen, aber ich hoffe, dass es dennoch rüberkommt und Leute ähnlich empfinden, wenn sie es lesen. Ich empfand auch, dass sich viele Geschichten ähneln, und das hat mich gefreut – irgendwie entsteht dann so ein verbindendes Gefühl. Zumindest ging es mir so.

LILA SOVIA – „intro (speed)“

In der Regel hat Olaf die Interviews geführt und Du hast Dich unter anderem um die Transkription hinterher gekümmert. Erinnerst Du Dich an Interviewmomente beim Abhören beziehungsweise Antworten, die Dich besonders berührt haben oder Dir im Gedächtnis geblieben sind?

Ich mochte das Lila Sovia-Interview sehr, vor allem hat es mich Lilas Musik nähergebracht. Das war eine Person, der ich sehr gern zugehört habe und die einen tollen Blick auf die Welt hat. Lila versprüht auch einfach so viel Dankbarkeit, das steckt an. Oder die Interviews von Heliocopta und King Kolera beispielsweise: Das sind einfach Menschen, die vor allem in ihrer Kindheit und Jugend eine ganz andere Lebensrealität hatten, als ich sie je hatte. Das fand ich total spannend. Manche haben mich mit ihrem Witz abgeholt, zum Beipiel wenn Heliocopta erzählt, dass er früher immer “Helio ist der Beste” überall mit Edding hingeschrieben hat. Ich mochte seine Art zu erzählen. Er sprach von Erinnerungen aus dem Geflüchtetenheim, wie die Sonne dort schien oder sich Menschen stritten. Solche Sätze haben mich sehr berührt. Oder der doz9-Initial-Moment, bei dem er sich mit seinem Homie die Hosen einfach ein Stück tiefer zog und ab da ging’s los. Gold! Ich musste auch sehr beim Jing Jitsu-Interview schmunzeln, weil sie so einen harten Meck-Pomm-Dialekt drauf hat: Sowas lässt mich mich den Menschen auch näher fühlen. Ich komme ja selbst aus Mecklenburg-Vorpommern. Das war bei Olaf und Escape auch so, da hatte ich direkt dasselbe verbindende Gefühl. Ich hoffe sehr, dass es in Zukunft einen Untergrund Platin-Podcast geben wird, wo man diese Interviews nochmal für die Öffentlichkeit wiederholen kann.

Heliocopta feat. Leila Akinyi – „NEIN“

Darüber würden sich sicherlich einige sehr freuen. Doch bevor wir über die Zukunftspläne sprechen, lass‘ uns die letzten Monate rekapitulieren. Du warst ja nicht nur für die Verschriftlichung der Interviews verantwortlich. Worin bestanden sonst noch deine Aufgaben bei der Umsetzung dieses Buchprojekts? 

See Also

In allererster Linie habe ich natürlich das Branding für dieses Projekt gemacht, vom “Logo” (bis auf den Platin-Schriftzug – für den habe ich einen guten Freund gefragt: s/o an Gunnar) bis hin zur Gestaltung des Buches an sich. Ich habe, wie schon erwähnt, bei der Recherche und Kuration der Artists mitgewirkt, wo ich oft auf das tolle 365 Fe*male MCs-Team zurückgreifen konnte. Das Lektorat für das Buch hat auch eine Person aus unserem Team, nämlich Dani, übernommen, wofür ich ihr sehr dankbar bin. [Anmerkung der Redaktion: Liebe und endlose Dankbarkeit an Dani!] Mit Olaf zusammen habe ich die Auswahl der Bilder getroffen. Ich habe die Artists für das Buch illustriert und größtenteils die Facts auf den Einleitungsseiten eines jeden Kapitels zusammengestellt. Die komplette Reinzeichnung für das Buch sowie die Druckabwicklung lief über mich, aber auch das Erstellen der Grafiken für den Online-Shop und für Social Media. Puh, jetzt wird mir gerade noch einmal bewusst, wie viel Arbeit und Herzblut wir eigentlich die letzten Monate in dieses Projekt gesteckt haben. Olaf ist über eineinhalb Jahre durch die komplette Republik gefahren und hat diese unglaublich tollen Bilder gemacht, die Interviews geführt und die komplette Kommunikation mit den Artists übernommen. Abgesehen davon hat er das komplette Sponsoring organisiert, die Releaseparty realisiert und die ganzen Promo-Reels erstellt. Das muss auch alles sehr kräftezehrend gewesen sein.

Absolut! Du hast es vorhin selbst gesagt: „eine willkommene Herausforderung“, aber auch eine, bei der einem der Arbeitsaufwand wahrscheinlich erst im Prozess bewusst wird. Ich würde behaupten, und das wird mit Blick in das Buch auch sofort deutlich, dass man solch ein Projekt vor allem aufgrund der Liebe zur Sache realisiert und durchzieht.

Das ist richtig. Da steckt auf jeden Fall viel Energie drin, die wir vor allem aus Überzeugung und aus Liebe zu HipHop aufgewendet haben. Wir hatten zum Glück aber auch einige Sponsoren, die uns die Arbeit an diesem Buch erleichtert haben.

Einmal provokativ gefragt, die Liebe zur Sache, in dem Fall die hiesige HipHop-Kultur und -Landschaft, bedeutet aber nicht, dass man diese nur rosarot anhimmelt und alles kommentarlos hinnimmt, sondern vielleicht auch kritisch zu Besserem anspornt. Wo sollte es Deiner Meinung für den Untergrund hingehen? Wo sieht Du noch Luft nach oben?

Es ist genauso viel Luft nach oben wie in der Gesellschaft an sich. Ich fände es generell und auch im Untergrund schön, wenn Leute sich gegenseitig mehr wertschätzen, auch wenn sie komplett unterschiedliche Stile fahren. Jeder hat einen berechtigten Platz in dieser Kultur. Es entscheidet niemand, wer HipHop ist und wer nicht. Mind your own business! Außerdem finde ich – auch im Hinblick auf die Erfahrungen, die ich durch das Buch gemacht habe – jede:r sollte respektvoll und empathisch mit anderen Menschen umgehen und nicht immer nach negativen Seiten an Leuten oder Dingen suchen. Etwas mehr Demut würde uns allen gut stehen.

Wahre Worte werden hier gesprochen. Doch lass uns noch einmal kurz nicht in Bescheidenheit üben, sondern nach den Sternen greifen: Wo geht es für Dich als nächstes hin? Wo ist bei Dir noch Luft nach oben?

Ich hoffe, es geht bald in den Urlaub. Dieses Projekt und generell dieses Jahr haben mich viel Kraft und Nerven gekostet. Für nächstes Jahr wünsche ich mir trotzdem, dass mich wieder Projekte erwarten, in die ich mein Herzblut stecken mag. Ich finde, ich bin in den letzten zwölf Monaten so über mich hinausgewachsen und habe viele Dinge zum ersten Mal gemacht, gerade auf beruflicher Ebene. Da möchte ich weiter an mir arbeiten – mir neue Tools zu eigen machen, um meinen Arbeitsalltag noch mehr zu professionalisieren. Und ganz persönlich will ich, das mag jetzt cheesy klingen, weiter versuchen, ein besserer Mensch zu werden und mir genauso die Dinge zu Herzen nehmen, die ich in der vorherigen Antwort angesprochen habe. 

Cheesy lieben wir. Wir wünschen Dir dafür alles Gute, Henrike, aber vor allem Bart Spencer und Dir ein fulminates Buch-Release!

Das Buch Untergrund Platin erscheint morgen, am 15. November 2024 in einer zunächst limitierten Erstauflage von 2000 Stück. Hier geht es zum Shop – und wenn ihr schon dabei seid, dann lasst ein bisschen Liebe für Henrike Ott und Untergrund Platin auf Social Media da!

Header-Bild: Patricia Haas

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