Die junge US-Amerikanerin steht aktuell wohl auf dem Peak eines Momentum, das sie sich bereits seit 2016 ganz langsam aufgebaut hat. Damals erschien sie in einem Posse-Track-Video gemeinsam mit ihrer 070-Clique auf der Bildfläche. Shake ist in dem Clip die Erste, die von der voll besetzten Tribüne in irgendeinem Vorort von New Jersey aufsteht und vor ihren männlichen Crew-Kollegen zu rappen beginnt. Drei Jahre später kann man sagen, dass auch sie es ist, die in dem mittlerweile legendären und millionenfach geklickten Video heraussticht und nun ein weitaus größeres Publikum anspricht als der Rest der nach der Postleitzahl New Jerseys benannten Gruppe.
Ein wenig später klingelt schließlich niemand geringeres als die selbsternannte Gottheit Kanye West bei der gerade erst 20-jährigen Rapperin durch, um sie zu einigen Sessions nach Wyoming einzuladen. Dort schraubt West gerade an einem Zyklus, an den im Nachhinein sehr umstrittenen 7-Song-Alben für Pusha T, Nas, Teyana Taylor, sowie dem eigenen Kollabo-Projekt Kids See Ghosts und schließlich natürlich der eigenen Solo-Platte. Im Endeffekt landet Shake auf zwei der fünf Projekte und wird zu einer Art Lichtblick der Alben. Denn: Kanye hatte sich zum ersten Mal in seiner Karriere komplett verzockt und neben einem medialen Shitstorm sondergleichen auch ein ziemlich fades Album veröffentlicht. Die finalen zwei Minuten des Songs „Ghost Town“, die komplett Shake überlassen wurden, kann man getrost als den besten Part der ganzen Platte ansehen.
Schließlich springt für Shake ein Plattendeal bei Wests G.O.O.D Music und ein recht ordentlicher Hype heraus. Viele Medien klammern sich regelrecht an die tiefe und einzigartige Stimme Shakes. Sie ist die einzige positive Erkenntnis eines ansonsten völlig verkorksten Jahres für den zuvor zumindest musikalisch unfehlbaren Kanye West. Shake schert sich darum ziemlich wenig und tut das, was sie am besten kann: cool bleiben. Die bereits vor den Kanye-Alben veröffentlichte „Glitter“-EP bleibt bis Januar diesen Jahres ihr einziges Lebenszeichen. Schnell ein Projekt rausbringen um die kurzweilige Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten? Fehlanzeige.
Die junge Frau aus New Jersey, bei der man nie so genau sagen kann, ob sie gerade eigentlich rappt oder doch singt, lässt sich mit ihrem Debüt auf Albumlänge Zeit. Gemeinsam mit dem Indie-Rock-Musiker Dave Hamelin schließt sie sich über ein Jahr lang im Studio ein und schraubt an dem, was schließlich „Modus Vivendi“ wird. Zwischendurch spielt Shake natürlich noch ein paar Shows und nimmt 2018 mit einem kurzen, aber extrem energiegeladenen Set auch Ferropolis für sich ein. Auf dem splash!-Zeltplatz spricht sich im Anschluss ziemlich schnell herum, wie die US-Amerikanerin von der kleinsten Bühne des Festivals mal eben eine der besten Shows des Wochenendes abgeliefert hat.
In der neuen Dekade angekommen, wird natürlich weiter für Furore gesorgt. „Modus Vivendi“, bei dem auch Star-Produzent Mike Dean hörbar seine Finger im Spiel hatte, gilt international für viele als die erste musikalische Großtat der 2020er – und das auch völlig zurecht. Shake entwirft auf ihrem Debüt eine sehr verdichtete, eigene Welt mit starkem roten Faden und vor allem einer emotionalen Offenheit, die ihresgleichen sucht. Sie erzählt in einer mit reichlich Fingerspitzengefühl, sehr leicht bearbeiteten Stimmlage von Auf und Abs einer Beziehung und ihrer queeren Lebensrealität zwischen Südstaaten, New York und LA. Die elektronisch futuristischen Instrumentals, die fernab jeglicher Genre-Konventionen funktionieren, tun ihr übriges. Das absolute Highlight der Platte: der 80s-Ohrwurm „Guilty Conscious“.
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