Dass die spanisch-sprachige BoomBap-Szene die wahrscheinlich erfolgreichste und aktuell wohl auch beste der Welt ist, sollte eigentlich allen klar sein, die regelmäßig Portraits auf 365 Female* MCs lesen. Es gibt zu viele Beispiele um die ganzen dopen Rapper:innen auf spanischer Sprache hier aufzuzählen. Dennoch kommt heute eine weitere dazu: Anier.
Die junge Rapperin aus Barcelona hat gerade erst ihren 22. Geburtstag gefeiert und gilt trotzdem bereits als eine der talentiertesten Rapper:innen des Landes. Passenderweise hat sich Anier schon mit 16 Jahren ihren Künstlerinnennamen gegeben, der das spanische Wort „Reina“ – also „Königin“ – spiegelt. Mit dem Potential, das sie auf den knapp zwei Dutzend Singles ihrer Diskographie zeigt, sollte es eigentlich nur eine Frage der Zeit sein, bis Anier auch offiziell zu (Rap-)Königin Spaniens gekrönt wird.
Musikalisch zeigt Anier eine Art Two-Face-Charakter. Entweder zerlegt sie mit ihrem aggressiven Flow einen hektischen Beat nach dem nächsten oder sie schnappt sich ein klassisches Piano-Sample und schüttet darüber ihr Herz aus. Dieser Gegensatz passt – Spoiler alert – erstaunlich gut zusammen. Ein komplettes Album hat Anier dennoch bis dato nicht herausgebracht. Eigentlich sollte das in diesem Jahr geschehen, wäre da nicht dieses verdammte 2020. Aber wir haben ja auch noch ein paar Monate Zeit. In jedem Fall bewegte sich Aniers Karriere vor dem Pandemie-Höhepunkt ebenfalls auf einen Peak zu. Die ersten Auftritte in Madrid und auf Mallorca liefen mit je mehr als 1000 Zuschauer:innen sehr gut, die Videos auf YouTube knacken mittlerweile in kürzester Zeit die Millionen-Marke und das ungeliebte Soziologie-Studium konnte die Katalanin auch schon schmeißen, um den Fokus komplett auf die Musik zu lenken.
In ihren Songs scheut Anier sich eigentlich nie, von den persönlichsten Dingen in ihrem Kopf zu sprechen. Viele ihrer Texte handeln von psychischen Problemen, von Ängsten oder von Liebesbeziehungen. Auch über ihre mittlerweile überwundene Drogensucht spricht sie öffentlich. Der Song „May Day“ handelt beispielsweise davon, wie Anier immer wieder auf Parties versackt und am Ende völlig abstürzt. Lust zu feiern habe sie nicht, aber ohne Rausch platzt ihr Kopf, rappt sie über einen sich selbst überschlagenden Beat.
Auch ihr Outing als Lesbe passiert in einen Song. Im Video zu „Gitana“ von 2017 zeigt Anier sich mit ihrer damaligen Freundin und erzählt von ihrem harten Weg zum Coming-out zwischen ihrer sehr religiös geprägten Nachbarschaft und dem Glück, dann doch zu ihrer Freundin gefunden zu haben. Zweifelsfrei ist Anier mit dieser Mischung aus Skills und dem Mut, auch die letzten Winkel ihrer Gedankenwelt auf einem Beat zu verarbeiten, schon jetzt eine der interessantesten Rapper:innen Spaniens.