„Ich werd’ TikTok-Rapper ohne Gucci-Sweater!“ Mit dieser vielsagenden Line beginnt Aylo im Herbst 2019 ihr erstes Video auf der vielzitierten chinesischen Video-Plattform TikTok, die innerhalb der vergangenen paar Jahre für mehr weltweite Hits verantwortlich zeichnete als so manches Major-Label. Mit einer Mischung aus wirklich lustigen Freestyles, in denen sie vermeintliche Banalitäten aus ihrem Privatleben abhandelt, und Videotagebüchern zwischen Fitnessstudio, Arbeitsamt und Studio-Session erspielt sich die heute 22-Jährige ziemlich schnell eine Followerschaft von mehreren hunderttausend User*innen.
Angestachelt von Millionen digitaler Herzen auf TikTok beginnt Aylo, sich ein Team aufzubauen, um ihren Hype aus der Parallelgesellschaft dieser mystifizierten Videoplattform in die echte Welt zu überführen. Ende März 2020 landet ihre Debüt-Single „Blender“ auf den digitalen Marktplätzen der Musikindustrie – und, was soll man sagen, die Taktik geht bestens auf. Mit nur drei Singles unter ihrem Namen hat sich die Berlinerin unlängst einen Slot auf dem kommenden Splash! Festival erspielt. Die Streaming-Zahlen stimmen sowieso und haben mittlerweile locker die Million geknackt. Um den Vertrieb ihrer Musik kümmert sich derweil die Universal-Tochter Urban. Die Tür in die Musikwelt ist weit mehr als nur einen Spalt breit geöffnet.
Ganz so einfach, wie sich Aylos Weg hier einmal kurz heruntergebrochen anhört, war es dann allerdings doch nicht. 2018 startete die Berlinerin einen ersten Versuch im Haifischbecken Musikindustrie. Sie hustlete durch einige Nebenjobs, um die Studiomiete zu blechen, um am Ende doch nur von vermeintlichen Supporter*innen übers Ohr gehauen zu werden. Die junge Rapperin bleibt desillusioniert und ohne festen Job zurück. Aylos Karriere war eigentlich schon vorbei, bevor sie überhaupt angefangen hatte – bis sie sich die an Absurditäten wie Musik-Talenten überfüllte App TikTok auf ihr iPhone lädt.
Es ist, etwas größer gedacht, wirklich interessant, wie es Rap-Musik stetig schafft, die Einstiegs-Barriere in die Musikindustrie kontinuierlich weiter herunterzuschrauben. Brauchte man vor wenigen Jahren immerhin noch Laptop und Mikrofon, reicht heutzutage bereits ein Smartphone mit einer kostenlosen App aus. Musikalisch beherbergt das auf lange Sicht hin natürlich die Gefahr musikalischer Verwässerung. Auf der anderen Seite kommt Innovation in guter Regelmäßigkeit aus den Ecken, die amateurhaft auf sämtliche Konventionen scheißen. Eben nicht für viel Geld ein Studio samt Engineer mieten, um sich dort die Dos und Don’ts aufzwingen zu lassen, sondern einfach machen. Darin steckt die Essenz von HipHop.
Zurück bei Aylo wird schnell deutlich, dass die Berlinerin aktuell noch sehr viel probiert und nach einem eigenen Soundbild sucht. „Wach“, „Feuer“, und „Blender“ schwanken zwischen leichten Balladen und druckvollen Parts. Hier ein ernsthaftes Liebeslied, dort eine Ermutigung, sich als junge Frau nicht von irgendwelchen Mackern abhängig zu machen. Hängen bleibt vor allem Aylos Gespür für Melodien, Hooks und Patterns. Anders gesagt: Der Chorus von „Blender“ hängt auch Tage nach dem ersten Mal Hören noch tief im Gehörgang fest.
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