Hört man Big Boss Vette in Interviews zu, fällt auf: Das Wort, das sie am häufigsten verwendet, lautet „work“. Dicht gefolgt von „excited“, das auch gerne verbunden mit einem fröhlichen Kreischen. Man kann es ihr kaum verdenken: Über einen dermaßen raketenhaften Start, wie diese Frau ihn hingelegt hat, darf man getrost hin und wieder aus dem Häuschen geraten. Zumal er ohne vorangegangene harte Arbeit wohl kaum denkbar gewesen wäre.
Beharrlichkeit gehört ebenfalls dazu. Am 16. Oktober 1997 kommt in St. Louis ein Mädchen mit dem klangvollen Namen Diamond Alexxis Smith zur Welt. Schon von Kindesbeinen an steht für sie fest: „Ich will Rapperin werden.“ Ihre erste Rap-Crew formiert sich bereits zu Schulzeiten. „Das war aber alles noch ziemlich peinlich“, erinnert sie sich Jahre später im Interview mit dem XXL Magazine, wo sie sie, noch etwas später, auf der Kandidat:innenliste für einen der begehrten Plätze auf ihrem Freshman-Cover führen.
Diamond beginnt, wie viele Rap-Fans beginnen: mit Freestyles und Coverversionen ihrer Lieblings-Tracks, die sie auf Facebook und YouTube hochlädt. Ihren ersten viralen Hit verzeichnet sie 2015 mit einer Version von Dej Loafs „Try Me“. „Ich wurde dann plötzlich für Auftritte gebucht, nur wegen meiner Coversongs“, wundert sie sich rückblickend. „Als richtige Rapperin habe ich mich da aber noch nicht gefühlt. Ich hatte ja keine eigenen Tracks.“
Stattdessen zieht Diamond mit ihrer kompromisslosen Art eine ganze Menge Ärger an. 2016 gerät sie in einen Streit, der rasch eskaliert und sie mit einer Schusswunde ins Krankenhaus befördert. Der unschöne Vorfall hatte jedoch auch sein Gutes, zusammen mit der Kugel traf die Erkenntnis: „Ich kapierte, dass ich mein Leben ändern musste. Ich hatte noch Ziele zu erreichen.“
Es dauert zwar bis 2019, bis ihr erster eigener Song „Dog Ass N****“ erscheint, daraufhin allerdings überschlagen sich die Ereignisse schier. Seitdem sei sie Big Boss Vette, rekapituliert sie… und wie sie das ist! Nach dem bisher größten Moment ihrer Karriere gefragt, überlegt Vette erst lange, dann sagt sie: „Als ich meinen Plattenvertrag unterzeichnet habe.“ Aus 13 Angeboten wählen können: Diese Erfahrung machen sicher nicht viele Newcomer:innen. Big Boss Vette entscheidet nach Bauchgefühl und Sympathie und wählt Republic Records.
Die meisten Leute denken, wenn du einen Labeldeal in der Tasche hast, hast du es geschafft. Doch dann fängt die Arbeit ja eigentlich erst an.“
– Big Boss Vette im Interview mit dem XXL Magazine
Da war sie wieder, die Arbeit: Big Boss Vette stürzt sich kopfüber hinein und veröffentlicht Single um Single, die sich genauso kontinuierlich als Banger um Banger entpuppen. Dass ihr Karrierestart mit dem Ausbruch einer weltweiten Pandemie zusammenfällt, beunruhigt sie nur kurzzeitig. Ohnehin hat sie längst die sozialen Medien als ihre Kanäle entdeckt, die sie höchst effektiv nutzt. 2020 den ersten Song auf Spotify gestellt, verzeichnet sie dort bald Streams im Millionenbereich. So richtig ab räumt sie aber auf TikTok, wo sich insbesondere „Pretty Girls Walk“ zum Überhit auswächst. Was Big Boss Vette direkt wieder zum Kreischen bringt: „Kylie Jenner used my song!!!“ Tatsache, und sie war bei weitem nicht die einzige Celebrity.
Kein Wunder auch: Mit ihrer Kombination aus knallharten Bars, berückenden Melodien und elend catchy Hooklines rechtfertigt Big Boss Vette locker, dass die Medien sie als eine Art Mischung aus Cardi B und Latto beschreiben. Sie vereint den Hunger eines Underdogs und die Skills eines Profis mit der absolut furchtlosen, frechen Herangehensweise an HipHop, die nur eine aufbieten kann, die sich auf dem harten Pflaster der Rap-Szene von St. Louis durchbeißen musste, ohne Geld und ohne große Beziehungen. Ganz alleine hat sie es trotzdem nicht geschafft, wie sie, noch voller Adrenalin von ihrem Auftritt beim Rolling Loud in Los Angeles im Backstage-Interview betont: „Erfolg ist IMMER eine Teamsache.“
„Sie erleuchtet jeden Raum, den sie betritt“, schwärmen sie bei Republic von der Energie ihres Schützlings, wissen aber auch: „Sie verlangt absolut ungeteilte Aufmerksamkeit.“ Die soll sie kriegen: Ihr Debütalbum, munkelt man, erscheint noch diesen Sommer. Gegenüber XXL gesteht Big Boss Vette aber noch einen anderen Wunschtraum ein: „Ich liebe Tiere“, sagt sie da. „Ich träume davon, einen Zoo zu eröffnen. Einen Streichelzoo, aber unter dem Motto: ‚Pet at your own risk.'“ Wir wünschen allen Beteiligten viel Glück bei dieser Geschäftsidee.