Noch sind es kleine Schritte, die die belgische Künstlerin Boa Joo langsam aber bestimmt macht. Dass eine professionelle Musiker:innenkarriere viel Kraft erfordert, hat sie selbst schon in einem Instagram-Post verraten und doch klingt ihre Mischung aus Rap und Gesang leichtfüßig und elegant. Spielend tanzt sie auf Französisch die Tonleiter in den melodiösen Singles hoch und runter. Dass sie weiß, wo es langgeht, zeigt nicht nur das Kompass-Tattoo auf ihrer Schulter, sondern die selbstbewusste Attitüde, mit der sie schon mehrfach die Bühnen in Belgien unsicher gemacht hat. Wie sehr sie Auftritte liebt, sieht man auch an ihren Social-Media-Profilen, die fast einer Live-Galerie gleichen.
Einen weiteren Schritt hat die in Brüssel ansässige Boa Joo mit dem Gewinn des Wettbewerbs „Girls On Stage“ gemacht, in dessen Folge sie an Coachings und Workshops teilnehmen konnte, um sich weiter zu professionalisieren. Das Ziel ihrer Musik: Geschlechterstereotype aufbrechen. Ein aufschlussreiches Interview über ihre Inspiration und Motivation gab sie 2020 beim französischsprachigen Magazin Madame Rap, das sich Sichtbarkeit für „Frauen und LGBT+-Künstlerinnen“ auf die Fahne geschrieben hat. Während sie als Kind männlichen Künstlern beim Reproduzieren sexistischer Inhalte zuhören musste, sieht sie heute Vorbilder in beispielsweise Shay oder Little Simz. 2018 reichte ihr Mut endlich aus, um sich selbst musikalisch Gehör zu verschaffen.
„Ich bin eine heterosexuelle, feministische Frau, was mich nicht davon abhält, in meinen Texten so vulgär und trashig wie ein Mann zu sein“, erklärt sie bei Madame Rap. Als intersektionale Feministin glaube sie, dass die Sichtweise auf Sexismus abhängig vom sozialen, ethnischen oder religiösen Hintergrund sei. Als Schwarze Frau erlebe sie Sexismus beispielsweise auch in Verbindung mit Rassismus. Gerade deshalb scheint es ihr in ihren bisherigen Singles besonders daran gelegen, ein komplexes Bild von sich selbst zu zeigen.
Das bisherige Highlight und ein schon wesentlich größerer Schritt scheint ihr Track „Depuis“ zu sein, der im Januar erschienen ist. In behutsamen Tempo und im Video mit einer verheißungsvollen Schlange geschmückt, zielt sie ein weiteres Mal auf ein vorurteilbehaftetes toxisches Umfeld, in dem Männer ihre Schwestern verachten, aber ihre Mütter in den Himmel heben. Doch Boa Joo ist nicht zuständig für kostenlose Care-Arbeit. Im Gegenteil wird sie mit jedem Schritt schneller und schneller – auch wenn ihre schon länger angekündigte Debüt-EP „Sérénade“ noch auf sich warten lässt. Die Belgierin ist nicht der Typ für einen Schnellschuss, sondern macht Sachen lieber richtig. Und eigentlich ist das Tempo dabei vollkommen egal, denn irgendwann wird sie eh nicht mehr zu halten sein.