Chocolate Remix ist die Queen des „Lesbian Reggaeton“ – einem Genre, das sie selbst begründet hat. Was die Rapperin, Sängerin, Producerin und DJ Romina Bernardo 2013 als ironisches Projekt begann, ist mittlerweile ein fester Bestandteil der feministischen Musikszene in Argentinien. In ihren Texten bricht sie mit den hypermaskulinen Erzählungen des Mainstream-Reggaetons und schreibt Tracks über queeren Sex, Selbstbehauptung und feministische Kämpfe in Lateinamerika. Ihre Musik verbindet Oldschool Reggaeton mit Cumbia, Funk Carioca und Dembow.
Romina Bernardo wuchs in der Provinz Tucumán im Norden Argentiniens auf. Sie ist Tochter einer Familie aus der unteren Mittelschicht. In einem Barrio (Viertel) in einer ländlichen Provinz aufzuwachsen, bedeutete für sie wenig Berührungspunkte mit den akademischen feministischen Diskursen. Dafür war Reggaeton seit der Jugend ein wichtiger Teil ihres Lebens. Durch die Musik habe sie zum Feminismus gefunden, weil sie schon früh als offen lesbisches Mädchen auffiel: „Ich bin als Lesbe auf Reggaeton-Partys gegangen und alle Nicht-Heteros wissen, was das bedeutet: Damit wird deine gesamte Existenz politisch“, sagte die Argentinierin 2019 in einem Interview mit den Lateinamerika Nachrichten. In ihrer Jugend entstand auch der Spitzname der Rapperin: „Choco“, wie Schokolade. Lesben werden in Argentinien und anderen Lateinamerikanischen Ländern als „torta“ (dt. Torte) bezeichnet. Im Track „Como me gusta a mi“ bezeichnet sich die Rapperin auch selbst als „Choco Torta“.
In ihrem musikalischen Projekt Chocolate Remix verbindet Romina Bernardo ihre jahrelange Liebe zum Reggaeton mit queer-feministischen Themen. In ihren Videos und auf der Bühne tritt Choco mit Backgroundtänzer*innen auf, die lasziv „perreo“ (einen Tanz, der Twerk ähnelt) tanzen. Genauso wie im klassischen Reggaeton drehen sich ihre Lyrics um sexuelle Themen: im Gegensatz zu den männlichen Reggaetoneros rappt Choco allerdings als queere Frau über lesbischen Sex und Erotik-Fantasien oder über weibliche und andere nicht-männliche Körper als die Objekte ihrer Begierde.
Viele argentinische Feminist*innen aus akademischen Kreisen kritisierten Chocolate Remix deshalb zunächst als „antifeministisch“, weil sie Reggaeton insgesamt als Teil der Macho-Kultur ansahen. Die Rapperin hielt diese Kritik von Anfang an für falsch. „Frauen in Hotpants wurden als Opfer des Patriarchats abgestempelt, die nicht merken, dass sie nur Sexobjekte sind. Alles Erotische und ‚Feminine‘ wurde aus feministischen Kontexten verbannt. Ich fand, dass diese Logik zu kurz greift. Sexualisierte Körper sind für mich nicht per se schlecht. Fragwürdig ist, wie diese sexualisierten Körper vom Patriarchat vereinnahmt werden“, sagt Choco über die anfänglichen Meinungen zu ihrer Musik.
Als Reggaetonera sieht sie außerdem, wie die Kritik akademischer Feminist*innen auch mit verschiedenen sozialen Backgrounds zusammenhängt. „Meine damalige Partnerin war eine der Tänzerinnen bei diesen Auftritten. Wenn ich sie und ihre Freundinnen im Barrio tanzen sah, dann war das für mich ein krasser Ausdruck von Macht und Selbstbestimmung über den eigenen Körper.“ Für Chocolate Remix ist Reggaeton als Musik Ausdruck der weniger privilegierten Klassen: „Diese unterschiedlichen Auffassungen von Empowerment haben auch etwas mit sozialen Klassen zu tun. Reggaeton war seit den 90ern ein kultureller Ausdruck der Arbeiter:innenklasse. Für Akademiker:innen, die zur Uni gehen, ist es eben nicht erstrebenswert, in Hotpants die Partys im Barrio zu rocken.“
Mittlerweile ist Chocolate Remix eine feste Größe in der feministischen Musikszene Argentiniens – die anfängliche Skepsis und Kritik war schnell verflogen. Ihren bisher einzigen Longplayer „Sátira“ (Satire) veröffentlichte sie 2017. Die meisten Tracks handeln von Sex, Party und Perreo in der queeren Community und ohne Machos und Mackerei.
Auf dem Album ist auch ihr mittlerweile bekanntester Track „Ni Una Menos“ erschienen. Auf einen harten Reggaeton-Beat rappt Chocolate Remix darüber, dass die männliche Komplizenschaft bei Femiziden endlich aufhören muss. Es dürfe keine Ausreden mehr für ermordete Frauen, Lesben, inter und trans Personen mehr geben. Es sei egal was sie anhaben, zu welcher Tageszeit sie unterwegs sind, ob sie sich von ihrem Partner getrennt haben oder ob sie Reggaeton tanzen – Femizide, rappt Chocolate Remix, sind nicht zu entschuldigen oder klein zu reden. In der dritten Zeile des Tracks heißt es an die Täter: „Todas las que mataste hoy son mi musas“ („Alle die du ermordet hast, sind heute meine Musen“). Es ist ein wütender und empowernder Track, der mittlerweile nicht nur in Argentinien eine Hymne der feministischen Bewegungen gegen Femizide und sexualisierte Gewalt geworden ist. Das Video ist auf YouTube mit englischen Untertiteln verfügbar.
In den vergangenen Monaten hat Chocolate Remix einzelne Tracks released. Die Songs „Zoom“, „Te dije que no“ und „Como te explico“ sind wieder geprägt von Reggaeton Beats in Kombination mit Dembow, Cumbia und elektronischen Sounds. Der zuletzt veröffentlichte Track ist ein Elektro-Cumbia Remix des ersten Releases der Rapperin aus dem Jahr 2014, „Lo que las mujeres quieren“. An diesem Remix lässt sich erkennen, wie aus dem ironischen Projekt acht Jahre später eine ernstzunehmende Künstlerin geworden ist.