Wer das eigene Debütalbum „Indomptable“, zu Deutsch „unbezwingbar“ beziehungsweise „nicht zu bändigen“ nennt, will damit zweifelsohne ein klares Statement setzen: Mit DAVINHOR aka Davinhor Pacman kämpft im französischen Rap-Game jedenfalls seit ein paar Jahren eine Künstlerin um jeden Preis für ihren Erfolg und lässt sich von Schicksalsschlägen nicht so schnell ausbremsen. Im Gegenteil: Wut, Frustration und Enttäuschungen über strukturelle Ungerechtigkeiten oder gesellschaftlich internalisierten Sexismus scheinen bei DAVINHOR eher als notwendiger Zündstoff zu dienen, um noch weiter über sich selbst hinauszuwachsen. Mit ihrer knallharten Einstellung zum Leben, ihren pointierten Bars und ihrem einzigartigem Flow manövriert sich die Rapperin in den letzten vier Jahren in den Fokus der Rap-Landschaft Frankreichs und teilt dort in alle Richtungen aus. Fast schon so, als befinde sie auf einem persönlichen verbalen Rachefeldzug:
Ich bin nicht dein Baby, du musst mich Madame nennen.“
„J’suis pas ton bébé, faut m’appeler Madame“ – aus dem Song „Madame“
Davinhor Makwala, so ihr bürgerlicher Name, wird am 7. März 1997 in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, während der andauernden Kongokriege geboren. Als Aktivist und Verfechter der Menschenrechte gerät ihr Vater schnell ins Visier des Staates und wird sogar inhaftiert. 2000 glückt ein Fluchtversuch aus dem Gefängnis, und die Familie mitsamt den neun Kindern flieht daraufhin nach Frankreich ins Exil. Es folgt für alle eine lange Zeit der Rast- und Heimatlosigkeit, von Giens im Departement Loiret verschlägt es sie in den Norden nach Compiègne, letztlich nach Creil. Schon früh lernt Makwala, sich weder an Menschen noch an Orte zu binden, reflektiert sie im Interview mit Terra Femina. Zu groß die Gefahr, die Zelte doch wieder abbrechen zu müssen.
Als einzige Stütze und Ventil in dieser Zeit dient dem jungen Mädchen die Leichtathletik, in die sie seit dem fünften Lebensjahr all ihre Energie und Kraft investiert. Ganz so, als renne sie nach wie vor um ihr neues Leben, weit weg von ihrer vom Krieg gebeutelten Heimat. Kämen da nur nicht die Pubertät und der jugendliche Leichtsinn ins Spiel: Nach einem folgenschweren Streit mit einer Mitschülerin fliegt Makwala aus dem Leichtathletikteam und irgendwie auch aus ihrer bewährten Struktur. Die Selbstzweifel, ihr Leben weggeworfen zu haben, plagen die damals 19-Jährige intensiv. Sie stürzt sich ins Nachtleben, übt entlarvende Rachefeldzüge gegen betrügerische Ehemänner, die sie auf Snapchat auffliegen lässt, und versucht gleichzeitig, sich selbst zu finden und sich Gehör zu verschaffen.
Erst ein Zusammentreffen mit den Produzenten Les Daltonnes und dem Rapper Niska infolge der Releases von Tracks wie „Ligue 1“ oder „Theresa Mendoza“ lässt Makwala wieder an ihre eigenen Fähigkeiten glauben und entfacht neue Leidenschaft. Im Herbst 2019 kommt es zum ersten gemeinsamen Auftritt in der Sendung Planète Rap. Schnell realisiert die Newcomerin, dass dieses Rap-Ding hier tatsächlich ihre Chance sein könnte. Inspiriert von sowohl US-amerikanischen Rap-Größen der Golden Era wie Lil’ Kim und Foxy Brown als auch von den weiblichen Stars der Gegenwart wie Nicki Minaj, Cardi B und Megan Thee Stallion, wirkt es ganz so, als habe Makwala in ihrer Performance-Persona DAVINHOR das nächste Level ihrer Persönlichkeitsentwicklung und ihre Superpower freigeschaltet: Rap!
Noch im selben Jahr folgt das Signing bei Universal Music France und wenig später der Wechsel zu Capitol Music France. 2021 wirkt das Ausnahmetalent an der Seite von Chilla, Bianca Costa, Le Juiice und Vicky R bei der Canal+-Dokumentation „Reines, pour l’amour du rap“ (dt. „Königinnen, aus Liebe zum Rap“) mit. Gemeinsam steuern die Künstlerinnen den Banger und kämpferischen Soundtrack „AHOO“ zur Produktion bei.
In ihren Songs verarbeitet DAVINHOR nicht nur die eigene Wut auf diese Welt und Gesellschaft, sondern verwirklicht sich auch stetig ihren Traum von Unabhängigkeit und einem guten Leben. Egal, wie weit es die Künstlerin bislang geschafft hat, ein Gedanke begleitet sie stetig: Was wäre, wenn? Was wäre gewesen, wenn ihre Eltern nicht den Mut gehabt hätten, zu fliehen?
Schon alleine aus diesem Grund wird die Rapperin nicht müde, sich für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung einzusetzen, sei es nun in der lokalen Rap-Szene oder in unserer Gesellschaft. Hauptsache, „unbezwingbar“ bleiben, lautet die Devise von DAVINHOR, der sie 2022 direkt ihren ersten Longplayer „Indomptable“ mit ganzen 16 Tracks widmet. Als wäre dies nicht genug, huldigt sie mit dem Album der Bürgerrechtlerin Rosa Parks, indem sie sich auf dem Cover mit einer typisch amerikanischen Polizeifototafel ablichten lässt. Entscheidend ist dabei das kleine, aber feine Detail der dort abgebildeten Zahl „13071965“: eine Anlehnung an das Gesetz vom 13. Juli 1965, das Frauen das Recht einräumt, ohne die Genehmigung ihres Mannes ein Bankkonto zu eröffnen und zu arbeiten. Schluck das, Patriarchat!
„Ich komme wie ein Dorn in der Unterhose / ich trample sie in Stöckelschuhen nieder / Sag mir, wer die Hosen anhat?“
„J’arrive comme une épine dans le caleçon / je les piétine en talons / dis-moi qui porte le pantalon?“ – aus dem Song „Indomptable“
So sehr wir DAVINHOR karrieretechnisch den Aufstieg gönnen, wünschen wir ihr privat nur das Beste. Dies erscheint insofern angebracht, als dass die Künstlerin derzeit schwanger ist. Glücklicherweise hält das die Powerfrau im Moment noch (!) nicht davon ab, live zu performen, wie beispielsweise Anfang Juli beim Montreux Jazz Festival. Man kann DAVINHOR einfach nur dafür lieben, wie sie im pastellblauen Outfit und mit runden Babybauch ihre Single „Opinel 12“ (eine französische Klappmesser-Marke) zum Besten gibt und dabei Lines rappt wie: „Wenn ich mich um meine Angelegenheiten kümmere, kommt jemand, um mir auf die Eier zu gehen / Ich kann sanft sein, aber ich bevorzuge das Opinel 12.“ Mehr davon bitte, hoffentlich nach Geburt des Kindes asap!