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Desplante

Desplante

Mit „Grobheit“ oder „Frechheit“ lässt sich ihr Künstlerinnenname ins Deutsche übersetzen. Passenderweise findet der Begriff auch für eine Pose des Matadors im Stierkampf Verwendung. Diese Tradition mag umstritten sein, fraglos bleibt dagegen: Eine MC, die kein Blatt vor den Mund nimmt, darf sich mit jedem Recht der Welt Desplante nennen. Das sieht sie selbst auch so:

Mein Spitzname hat mit meiner Art zu tun. Ich bin eine Person, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Ich sage, was ich denke, ich stehe für meine Meinung ein, ohne darüber nachzudenken, ob den Leuten gefällt, was sie dann hören. Ich halte mich nicht an Konventionen. Ich bin einfach, wie ich gerade bin, und in einer verlogenen Welt kann das schnell wie grobe Unhöflichkeit aussehen.“

– Desplante im Interview mit Todo el Hip Hop

In ihrer Arbeit hält die spanische Rapperin allerdings nichts davon, ohne groß nachzudenken rauszuhauen, was ihr gerade durch den Kopf schießt. Ihre Diskografie liest sich viel mehr wie eine Verbildlichung der sprichwörtlichen Weisheit „Gut Ding will Weile haben“. Desplante ist Perfektionistin. Sie nimmt sich reichlich Zeit für alles, was sie tut.

Unter dem wohlklingenden Namen Natalia Hernández wird Desplante am 11. Mai 1982 in Barcelona geboren. Ihre Liebe zum HipHop keimt früh, sie vergleicht diese Leidenschaft selbst mit einer heftigen Verliebtheit mit allen Symptomen: Leidenschaft, völlige Hingabe und komplette Besessenheit. Bis sie selbst zum Mic greift, hat sie allerdings bereits ausgiebig Rap gehört. Von den ersten Gehversuchen 2003 bis zur Aufnahme ihres ersten eigenen Songs ziehen zwei Jahre ins Land, in denen die junge Künstlerin an ihren Texten und ihrer Delivery feilt. Noch einmal zwei Jahre verstreichen, bis sie ihre Debüt-EP „Cuestión De Tiempo“ für vorzeigbar hält. Was allerdings nicht bedeutet, dass sie einer Bühne, einem Publikum, Kritiker:innen oder einem Battle aus dem Weg gehen würde. Nö, 2007 stellt sie sich etwa im Wettbewerb Lebuqe Proyecto Demo der versammelten Konkurrenz und setzt sich am Ende gegen 48 Mitbewerber:innen aus ganz Spanien als Gewinnerin durch. Ihr Preis: professionelle Studioaufnahmen. Der Track, der sie zum Sieg trug: „Autonomía“.

Reichlich Bühnenerfahrung sammelt Desplante im Team ihres Kollegen ZPU. Als sein Support tourt sie nicht nur durch ihr Heimatland, sondern tritt auch international auf, etwa in Mexiko. Die Eindrücke, Erkenntnisse und die neu gewonnenen Routinen fließen allesamt in ihre 2010 erschienene zweite Veröffentlichung „Kalashnikov“ ein. Woher sie kam, hat Desplante jedoch auch nicht vergessen: Ihre Stadt Barcelona, ihr Viertel La Sagrera und ihre Familie führt sie als Eckpfeiler ihres Lebens an. Für künstlerische Inspiration sorgen das Fernsehen und Bücher von Edgar Allan Poe bis zu Krimis, Oldschool-HipHop-Acts wie Mobb Deep oder der Wu-Tang Clan, aber auch Punkbands wie die Sex Pistols oder Rancid. Neben HipHop hält Desplante Punk für das einzige Genre, in dem sich das reale, echte Leben kanalisieren lässt. Ihr eigenes fließt in ihre Lyrics, die sie solo oder als Mitglied des MC-Kollektivs Cresta Negra Clan unter die Leute spittet. Eine Alternative zum Dasein als MC hat sie für sich nie in Betracht gezogen. Der Frage, was aus ihr anderenfalls geworden wäre, begegnet sie im Interview mit HH Groups mit: „Da kannst du mich genauso gut fragen, auf welches Dach ich springen würde, wenn ich eine Katze wäre.“

Auch für ihr drittes Album lässt sich Desplante Zeit, steckt viel Liebe in die Details. Wie der Titel „Ama De Noche“ durchblicken lässt, zieht sich die Nacht als Hauptmotiv durch. Zum einen, weil es sich dabei um Desplantes favorisierte Tageszeit handelt, zum anderen aber auch, weil es darauf deutlich düsterer zugeht als zuvor. Sie habe schwierige Erlebnisse zu verarbeiten gehabt, so die Rapperin. Ihre Kunst diene ihr dabei als Ventil, um sich Erleichterung zu verschaffen, und als eine Art Therapie. Passend dazu birgt das Video zu „Luna Llena“, der ersten Single daraus, solide Horrorfilm-Ästhetik. Motherfuckers, say your prayers!

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Auf diesem Album zeigt Desplante erneut keinerlei Zurückhaltung, schießt scharf gegen Hater:innen und Kritiker:innen. Für das Hauptproblem der spanischen Rap-Szene hält sie den Mangel an Zusammenhalt: „Es fehlt an Einigkeit“, beklagt sie gegenüber HH Groups. „Spanien ist das Land des Neids, das ist die Krankheit dieses Staates. Wenn es nicht so viel Neid und Unsicherheit gäbe, könnten wir gemeinsam so viel Größeres erreichen und Barrieren niederreißen.“ Barrieren, wie sie insbesondere Frauen* im Weg stehen: „Es gibt eine Menge Machismo in der Gesellschaft. Männer akzeptieren sehr selten, dass eine Frau in irgendeinem Aspekt des Lebens besser sein könnte als sie. Das hat viel mit Unsicherheit und Ängsten zu tun. Eine Frau muss überall doppelt so hart kämpfen.“ Am liebsten würde sie sich mit diesen Realitäten jedoch gar nicht befassen:

Ich unterscheide nicht gerne zwischen Rap, zwischen MC oder Femcee, und ich bin auch nicht dafür, dem Geschlecht, dem man angehört, so viel Bedeutung beizumessen. Entweder rappt man gut oder nicht, Punkt. Die Musik hat eine Daseinsberechtigung oder nicht.“

– Desplante im Interview mit Todo el Hip Hop

Gut übrigens, dass sich Desplante Rap ausgesucht hat. In anderen HipHop-Disziplinen hatte sie sich zwar auch versucht, allerdings mit mäßigem Erfolg: Für Scratching („Ich war FURCHTBAR!“) und Graffiti („Das war auch nicht mein Ding, auch wenn es mir ein paar ganz nette Adrenalinkicks beschert hat.“) zeigte sie weit weniger Talent als als Rapperin. Deswegen macht Desplante unbeirrt weiter, worin sie am besten ist. Wenn auch ohne sich zu verbiegen, wie sie gegenüber Stafmagazine erklärt: „Ich erwarte nicht, an die Spitze zu kommen“, sagt sie. „Ich verkaufe mich nicht, ich mache nichts, das nicht zu mir passt, nur um ein Publikum zu gewinnen.“ Obendrein lässt sie sich nicht hetzen, die Abstände zwischen ihren Releases verlangen ihren Fans weiterhin Geduld ab. 2015 erscheint „Random“, 2019 legt sie die EP „K.R.U.D.O.“ nach. Nach allen Regeln der Mathematik wäre es langsam also höchste Zeit für ein neues Album.

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