Ich saß im sonnenerhellten Wohnzimmer eines guten Freundes, wir tauschten uns über Musik aus, die wir aktuell hören. Er kramte eine Platte aus dem Regal und ließ sie laufen. Das war der Moment, als ich zum ersten Mal den Klängen Dua Salehs lauschte. Schon nach den ersten Zeilen schossen Endorphine durch meinen Körper. Ich wusste es sofort: Mein nächstes Portrait für 365 Female* MCs trägt den Titel Dua Saleh.
Während des zweiten sudanesischen Bürgerkriegs, in den 90er Jahren, floh Dua Saleh samt Familie aus Kassala, zunächst nach Eritrea und anschließend in die USA. Nachdem sie auch dort mehrfach umgezogen waren, kamen sie schließlich in St. Paul in Minnesota an. Saleh besuchte dort die Highschool und entwickelte schon früh ein Bewusstsein für die Gefahren und den strukturellen Rassismus der eigenen Community und somit auch ein Interesse für die Organisation in derselbigen. In dieser Zeit nahm Saleh auch zunehmend mit Spoken Word-Texten an Open-Mics teil, die von politischen und gesellschaftlichen Thematiken und der eigenen Identität als gender-neutrale schwarze Person in den USA erzählen.
An der Augsburg University studierte Saleh Gender-, Frauen-, und Sexualität-Studien sowie Soziologie und machte sich in der Zeit in zahlreichen Organisationen wie der Pan Afrikan Student Union oder den Augsburg’s LGBTQIA Student Services stark. Trotz Vollzeit-Studium, Nebenjob und politischer Arbeit steckte Saleh immer auch Power in die Kunst. Die erste musikalische Auskopplung war zunächst als ein kleines Experiment gedacht, das aus purer Laune entstand. Zusammen mit dem Produzenten Frey setzte sich Saleh ins Studio, um ein paar Zeilen aufzunehmen – aus der spontanen Session entstand jedoch im Single-Take ein ganzer Track. Mit der ersten Single „First Take“ wurde 2017 auch gleichzeitig die Künstlerperformance Dua Saleh geboren. Kurze Zeit später wurde Psymun auf die Single aufmerksam und produzierte Salehs Debüt-EP „Nūr“, das 2019 erschien.
Dua Salehs Musik ist stark von poetischen Einflüssen durchwachsen. Wie ein Pilzgeflecht breiten sie sich in dem Klangkarussell aus. Soundtechnisch geht’s hier in Richtung Rap, R&B und experimentellen Pop, lyrisch direkt unter die Haut. Schon mit der ersten Single auf „Nūr“ zog Saleh einen mit „Suga Mama“ direkt in den Bann und ließ durch den hypnotischen Loop kaum los. 2020 folgte die EP „ROSETTA“. Das Konzept atmosphärische Beats und eine eindringliche Stimme wird hier weiter fortgesetzt, jedoch lässt sich eine Weiterentwicklung Salehs kaum überhören. Die Songs klingen noch größer, gewaltiger und selbstbewusster performt. Saleh überrascht dort mit immer neuen Elementen und macht damit stets einen großen Bogen um simple Songstrukturen.
Anfang Juni veröffentlichte Dua Saleh die Single „body cast“ und thematisiert damit die Polizeigewalt in den USA sowie den Mord an George Floyd durch Weiße Polizisten. In einem Interview mit Deutschlandfunk erzählt Saleh, dass der Song für ein zukünftiges Projekt gedacht gewesen sei, die aktuellen Ereignisse jedoch zu einer früheren Veröffentlichung geführt haben. Ursprünglich wurde der Song 2019 nach dem Morden an Jamar Clark und Philando Castille durch die Twin City Polizei in Minnesota geschrieben. Dass die inhaltliche Relevanz jedoch auch noch heute von größter Bedeutung ist, sollte klar sein. Saleh möchte mit „body cast“ den Kampf gegen Polizeigewalt aktiv unterstützen: „Der gesamte Erlös geht an Black Visions Collective, eine basisdemokratische Abolitionistengruppe aus Minneapolis. Sie fordert die Stadt auf, die Finanzierung bestimmter Polizeidienststellen zurückzuziehen, weil sie Mitglieder unserer Community getötet haben.“
Um auch weiterhin auf die rassistischen Strukturen, insbesondere bei der Polizei (in den USA wie auch in Deutschland), aufmerksam zu machen und ihnen den Kampf anzusagen, war die Songauswahl für dieses Portrait eindeutig: