Als im Dezember 2018 wie aus dem Nichts die 18-jährige Newcomerin Ebony auf der Bildfläche der brasilianischen Rap-Szene erscheint, hat wohl niemand damit gerechnet, dass sie nur ein Jahr später den Genius Brazil Award als „Rap Revelation“, also „Rap Offenbarung“, abräumt und sich zur führenden weiblichen Trap-Stimme entwickelt. Am wenigsten wahrscheinlich sie selbst.
Geboren (*2001) und aufgewachsen in Brasiliens Hauptstadt Rio de Janeiro, interessiert sich Ebony zwar schon früh für allerlei kreative Dinge und Tätigkeiten, an eine musikalische Karriere denkt sie dabei jedoch nicht. Zu illusionär erscheint ihr diese Vorstellung. Insofern kommen der plötzliche Erfolg sowie der Hype um ihre Musik und Person für das junge Rap-Talent unerwartet, zumal sie sich – bis heute – auch weniger als reine Rapperin versteht:
Ich mag die Rapper-Definition nicht, weil ich nicht nur das machen will. Ich möchte wie Childish Gambino mit einer Vagina sein.“
„Não gosto da definição rapper, porque não quero fazer só isso. Quero ser tipo o Childish Gambino com vagina.“ – Ebony im Interview mit Vice
Eher zufällig spielt Ebony eines Tages mit der Autotune-App Voloco, rappt über selbstausgewählte Beats ein paar Zeilen und lädt die Aufnahmen spaßeshalber bei Soundcloud hoch. Die Clips gehen nicht nur innerhalb Ebonys Freund:innenkreis viral, sondern bald auch auf Social Media. Aus einem dieser Clips entsteht wenig später der Track „Cash Cash“, der Ebony im März 2019 zum Raketenstart ihrer Karriere verhilft. Es folgen Singles wie „Bratz“, „Glossy“, „XOXO“ und „Facetime“ sowie wenig später bereits Kollaborationen mit Größen der lokalen Trap-Szene, darunter FBC, WillsBife, Dfideliz und Borges.
Allein mit ihrem Talent für dope Reime, heavy Lyrics und Flows stellt Ebony eine durch und durch spannende Künstlerin dar, die weiß, was sie will, und die den Raum zur musikalischen Selbstentfaltung auch ganz selbstverständlich für sich beansprucht, und das in einem Genre und einer Szene, in der (Schwarze) Frauen bislang eher nicht stattfinden.
Wie selbstverständlich entwickelt sich das junge Talent 2019 zur führenden weiblichen Stimme der brasilianischen Trap-Szene: Die erwähnte Auszeichnung beim Genius Brazil Award 2019 stellt nur einen beeindruckenden Meilenstein im Laufe des Jahres dar. Als einzige weibliche Künstlerin wird sie für die Spotify-Dokumentation „MÚSICA PELO BRASIL. O TRAP NACIONAL MOSTRA A QUE VEIO“ (dt. „Musik in Brasilien. Der nationale Trap zeigt, wozu er da ist“) interviewt und nimmt zudem an der zweiten Ausgabe von PineApple Storms „Poetisas no Topo„-Projekt teil.
Nach Release ihrer sechs Track starken EP „Condessa“ im Sommer 2020 veröffentlicht Ebony nach einem Label-Wechsel und in dieser Hinsicht kompletten Neustart im November 2021 ihr ersehntes Debütalbum „Visão Periférica“. Ihrem eigenen Anspruch, nicht nur als Rapperin, sondern vor allem als vielseitig interessierte und musikalisch divers geprägte Musikerin wahrgenommen zu werden, wird sie dabei mehr als gerecht: Die zehn Tracks beeindrucken einerseits mit Feature-Parts von Artists wie Urias, Yunk Vino, Borges und BK, andererseits aber vor allem aufgrund der inhaltlichen Tiefe. Ebony rappt und singt ungefiltert über die Realität von Frauen sowie insbesondere von Schwarzen Menschen und davon, welche Auswirkungen ein gesellschaftliches System wie das gegenwärtige, das auf Ungleichheit und Ungerechtigkeit basiert, auf junge Menschen wie sie selbst hat. Ihrer Verantwortung als weibliches Vorbild und Aushängeschild der lokalen Rap-/Trap-Szene ist sich die mittlerweile 21-Jährige dabei sehr bewusst:
Ich denke darüber nach, was ich nicht nur für Frauen, sondern auch für Schwarze hinterlassen werde. Als Künstlerin möchte ich etwas für die nächsten Generationen hinterlassen, die meinen Sound genauso hören können, wie ich die alten Sounds höre. Ich möchte etwas hinterlassen, das meine Gedanken und Überzeugungen repräsentiert. Ich möchte das Beste von mir hinterlassen.“
“Penso o que estou construindo para deixar não apenas para mulheres, mas para o povo preto. O que eu quero como artista é deixar algo para as próximas gerações, que poderão ouvir meu som assim como escuto sons antigos. Eu quero deixar algo que me represente meus pensamentos e convicções. Quero deixar o melhor de mim.” – Ebony im Interview mit Kondzilla