Wer im TV zu sehen ist, hat es geschafft. Diesem Irrtum sitzen wahrscheinlich viele Nachwuchs-Künstler:innen auf. Die Erfahrung brachte Erdős Viola jedoch schnell auf den Boden der Tatsachen zurück:
Es war schon eine Enttäuschung mit der ganzen Musik, denn egal wie viele Zuschauer man im Fernsehen hat, es bedeutet nicht unbedingt, dass man davon leben kann.“
Erdős Viola im Interview mit RAPTERAP (Original: „Igazából, ott az egész zenében volt a csalódottság, hogy hiába a nézettség, a TV, meg az hogy valaki zenél, ez nem jelent megélési lehetőséget feltétlen.“)
2017 hat Erdős Viola bei der ungarischen Version von The X Factor teilgenommen, einer Musik-Castingshow mit Ursprung im Talentshow-Paradies Großbritannien. Um ihren Eltern und sich selbst etwas zu beweisen, bewirbt sich die Ungarin und schafft es mit ihrem Mix aus Gesang und eingestreuten Rap-Parts sogar in die Live-Shows.
Ich arbeite viel für wenig Geld, habe finanzielle Probleme wie alle anderen auch.“
Erdős Viola im Interview mit RAPTERAP (Original: „Dolgozom sokat kevés pénzért, ugyanúgy vannak anyagi gondjaim mint bárkinek.“)
Obwohl Erdős Viola von der Medienpräsenz profitiert, die ihr noch immer Auftritte und Modeljobs verschafft, muss sie weiterhin in der Gastronomie arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Wenig überraschend, bringt die Teilnahme außer kaum bis wenig Gage noch allerhand weitere negative Seiten mit sich. Da das Weiterkommen in die nächste Runde nicht ausschließlich vom Talent, sondern maßgeblich von Sympathiepunkten bei den jeweiligen Mentor:innen zusammenhängt, stehen die Teilnehmer:innen zwangsläufig in einem Abhängigkeitsverhältnis. Bei medialen Auftritten bleiben abwertende Kommentare, vornehmlich auf das Aussehen bezogen, in Sozialen Medien oder öffentlicher Berichterstattung leider nicht aus. Erdős Violas Tattoos, ihre Glatze und die gespaltene Zunge ernten zuhauf lookistische Zuschreibungen, die mit Attributen wie ‚wild‘ oder ‚gefährlich‘ ihr Bild in der Öffentlichkeit prägen.
Ich wurde nicht vom Dreck verschluckt.“
Lyrics „Gastro Angyal“ (Original: „Engem nem nyelt el a mocskos.“)
Mittlerweile dreht Erdős Viola den Spieß aber um und transformiert die Abwertungserfahrungen in ihre Kunst. Mit dem Track „Gastro Angyal“ („Gastro-Engel“) zeigt die MC, Sängerin und Barkeeperin dem Lookismus den Mittelfinger und kreiert eine befreiende Hymne der Selbstakzeptanz. Inzwischen agiert die Künstlerin unter dem Alter Ego Tetováltlány („Das tätowierte Mädchen“), in mutmaßlicher Anlehnung an die Figur Lisbeth Salander aus der „Millennium-Trilogie“ von Stieg Larsson. Die Anti-Heldin erlangte für ihre Unangepasstheit und ihr Aufbegehren gegen gesellschaftliche Normvorstellungen internationale Popularität.
Dass Erdős Viola singen kann, liegt nach der Teilnahme an der Gesangs-Show auf der Hand. Während sie dort Rap-Parts noch partiell einfließen ließ, verhält es sich mittlerweile eher umgekehrt. Die Ungarin changiert mühelos von entspannten Rap-Parts zu glasklar gesungen Refrains, denen die zurückhaltenden, und zugegebenermaßen nicht ganz ausproduzierten Beats jeweils genügend Platz zur Entfaltung geben. Auf „Nem Az A Lány“, der ersten Veröffentlichung unter dem neuem Namen Tetováltlány, rückt die von lateinamerikanischen Klängen beeinflusste Produktion etwas mehr als sonst in den Vordergrund, was der ausdrucksstarken Präsenz der MC jedoch keinen Abbruch tut.
Ob als Erdős Viola oder Tetováltlány, ob weiter im Untergrund oder doch wieder im Mainstream: Wie es mit der MC und Sängerin weitergehen wird, weiß natürlich nur die Zukunft. Hoffentlich wird es groß.