Sie ist eine der erfolgreichsten und zugleich kontroversesten Rapperinnen Indiens. Beschäftigt man sich im Jahr 2021 mit Hard Kaur, kommt man nicht umhin, tief in die indische Historie einzutauchen.
Taran Kaur Dhillon kommt 1979 – in dem Jahr, in dem die Sugarhill Gang mit „Rapper’s Delight“ erstmalig Rapmusik auf eine Platte presste – in Kanpur als Tochter einer Sikh-Familie zur Welt. Sie ist noch nicht einmal fünf Jahre alt, als ihr Vater 1984 bei den Anti-Sikh-Riots stirbt. Bis dahin wächst sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder im Hause ihrer Großeltern väterlicherseits auf, die die Witwe kurzerhand auf die Straße setzen. Kaurs Bruder hätte bleiben dürfen, ihre Mutter nimmt jedoch beide Kinder mit zurück zu ihren Eltern nach Hoshiarpur. Die zweite Ehe ihrer Mum führt Kaur im Alter von zwölf Jahren nach England. Doch leichter wird ihr Leben im britischen Königreich nicht: In der Schule ist sie nonstop mit Rassismus konfrontiert, zu Hause entpuppt sich ihr Stiefvater als Schläger und Vergewaltiger. Kaur ist es, die mit gerade einmal 14 Jahren die Polizei ruft und ihrer Mutter erklärt: Du brauchst keinen Ehemann. Dieser Schritt gibt ihr laut eigener Aussage außerdem die Kraft, sich gegen die Bullys an ihrer Schule zur Wehr zu setzen. Sie schließt Freundschaften und kommt darüber mit HipHop in Kontakt. Rap hilft ihr nicht nur, sich stärker zu fühlen, sondern auch dabei, die englische Sprache zu lernen.
Mit gerade einmal 15 Jahren beginnt Hard Kaur im Birminghamer Club The Dome aufzutreten, 1997 droppt ihre erste EP „Voodoo Hill“. Ihre Mutter macht ihr klar: Als Rapperin wird sie wohl nie eine eigene Familie haben. Die Wahl fällt der Vollblut-MC denkbar leicht. Für ihren Mut wird sie rasch belohnt und spielt Shows in mehreren Ländern. Bis zu ihrem ersten Longplayer soll es dennoch zehn Jahre dauern: Ihr Debütalbum nennt Hard Kaur selbstbewusst „Superwoman“. Ein Jahr zuvor ist ihr mit der Single „Ek Glassy“ der Durchbruch gelungen. Mit dem kommerziellen Erfolg verändern sich auch die Erwartungen an die Künstlerin: Sexy solle sie sein, und mehr tanzbare Hits liefern. Das gelingt Hard Kaur mit Leichtigkeit: Ihre 2007er Single „Move Your Body“ erobert die indische Musikszene im Sturm, auch dank der Platzierung auf dem Soundtrack des Bollywood-Streifens „Johnny Gaddar“. HipHop spielt zu dieser Zeit in Indien keine sonderlich große Rolle. Eine Frau so rappen zu sehen, empfinden viele als Offenbarung. Hard Kaur festigt ihren Ruf als eine der ersten Female MCs ihrer Heimat und als Bollywood-Rapperin. Ihrem Erfolg verdankt sie 2008 einen UK Asian Music Award als „Best Female Act“. In den Folgejahren begegnet man Hard Kaur quasi überall: Sie ist auf unzähligen Bollywood-Soundtracks zu hören, bringt 2012 ihr zweites Album „Party Loud All Year: P.L.A.Y.“ via Sony Music heraus und steuert Songs zu Kampagnen der FIFA bei.
2015 ändert sich für Hard Kaur alles. Ihr kleiner Bruder stirbt überraschend, und die Künstlerin reflektiert ihr bisheriges Schaffen. Sie hat keine Lust mehr, nur nach Ruhm und Statussymbolen zu streben: „I started an initiative to help young hip hop artists so they can make the music they were born to make. And now I’m back to writing music that I was born to make”, erzählt sie der Website iforher.com. Für Hard Kaur bedeutet das: mehr Message statt Bling Bling und HipHop wieder als Empowerment-Tool verstehen. Ihre 2016er Single “Sheni” ist deshalb eine feministische Hymne. Im Interview mit VH1 sagt sie: “I feel like Hip Hop saved me, Hip Hop saved my life.” Da erscheint es nur naheliegend, dass sie dieses Gefühl auch anderen Menschen, insbesondere anderen Frauen geben möchte. Zwei weitere größere Releases droppt Hard Kaur anschließend noch, ihr 2017er Werk „The Rising Mixtape Vol. 1“ und ihr Kollabo-Projekt „The Private Album“, das ausschließlich Featuretracks beinhaltet und 2019 erscheint.
Anschließend werden aber vor allem ihre politischen Statements in den Medien aufgegriffen: Vor zwei Jahren greift Hard Kaur auf Twitter Mohan Bhagwat, den Chef der indischen RSS-Partei, die dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet wird, sowie den Minister Yogi Adityanath an. Parallel dazu solidarisiert sie sich mit der Khalistan-Bewegung, die einen eigenen Staat für die Sikh fordert und heute vor allem außerhalb Indiens eine radikale Anhängerschaft hat. Sie wird daraufhin wegen Diffamierung und Hetze verklagt, ihr Twitter-Profil ist bis heute gesperrt. In ihrer Heimat wird sie zur Persona non grata, und auch musikalisch wird es still um Hard Kaur. Ihre bis heute letzte Single „Kashmir2Khalistan“ ist ihre Abrechnung mit der Politik Indiens. Statt neue Musik zu veröffentlichen, setzt sie sich für das „Referendum 2020“ der SJF (Sikhs for Justice) ein, die in Indien bereits zwei Jahre zuvor als Organisation verboten worden waren. Das „Referendum 2020“ fordert, bisher erfolglos, die Abspaltung Khalistans von Indien. Hard Kaur setzt damit offenbar den Kampf ihres Vaters aus dem Jahr 1984 fort.