„First things first, I’m the realest”: Die ikonische Eröffnungsline aus „Fancy” steht synonym für den raketenartigen Aufstieg der Iggy Azalea, beschreibt im Gegenzug jedoch auch die Problematik im Kern ihrer Karriere und ihres Images ganz gut. Ergo dauerte es nicht lange, bis die ihr entgegen schlagende Welle der Kritik sie wieder auf Boden der Tatsachen zurückholte. Als weiße Rapperin tut man gut daran, der Kultur, derer man sich bedient, den nötigen Respekt zu zollen. Vor allem, wenn man selbst über eher limitierte Skills am Mic verfügt.
Obwohl Iggy sich schon im Kindesalter in den Sprechgesang aus Übersee verliebt, tritt sie in den Augen vieler mit ihren zahlreichen Pop-Crossover-Erfolgen die Tradition des HipHop mit Füßen, wird belächelt und als „Culture Vulture” abgestempelt. Das sie sich auf dem Höhepunkt ihres Schaffens mehr mit Gossip als mit ihrer Musik befasst und dann auch noch öffentlich renommierte HipHop-Größen denunziert, versetzt ihrer angeknacksten Karriere vorerst den Gnadenstoß.
Dabei verlief selbige bis dahin wie aus dem Bilderbuch. In Sydney geboren, wächst Amethyst Amelia Kelly als Tochter eines Malers und einer Putzfrau in der Kleinstadt Mullumbimby auf. Angetrieben von ihrer Liebe zu HipHop und inspiriert von Künstler:innen wie Lil Kim und Missy Elliott schmeißt sie mit gerade einmal 15 die High School und beschließt, die Geburtsstätte des Rap zu besuchen. Unter dem Vorwand eines Kurztrips reist sie in die Vereinigten Staaten und entscheidet zum Bedauern ihrer Mutter, sich dort ein neues Leben aufzubauen.
Amelia arbeitet illegal, schlägt sich mit Nebenjobs durch und ist stets bemüht, ihr Umfeld von ihren Rapskills zu überzeugen. Miami, Houston, Atlanta: Die junge Australierin reist von einem Mekka des Sprechgesangs zum nächsten, lässt sich vorübergehend in Atlanta nieder, wo sie mit Backbone, einem Mitglied der Dungeon Family, arbeitet und einen Mitarbeiter von Interscope trifft, der sie 2010 motiviert, nach Los Angeles zu ziehen, um ihre Karriere ins Rollen zu bringen.
Gesagt, getan: Ein Jahr später veröffentlicht Amelia unter dem Künstlerinnennamen Iggy Azalea ihr Debüt-Mixtape „Ignorant Art”, das den Südstaaten-Mogul T.I. auf sie aufmerksam macht. Nachdem er für Iggys „Glory”-EP die Rolle des Executive Producers einnimmt, signt er die Newcomerin, die im gleichen Jahr als Teil der XXL-Freshman Class 2012 weiter für Aufsehen sorgt.
Trotz regem Kontakt zu T.I. trennt sich Iggy von 2013 von dessen Label Grand Hustle Records und unterschreibt einen Vertrag bei Def Jam, die Iggy dazu zwingen, mit dem Release ihres Debüt-Albums noch weitere zwölf Monate zu warten. Mit Shows als Opener für Beyoncé und dem Überhit „Fancy” als Lead-Single stellt die Australiern die Weichen für „The New Classic”, das 2014 endlich erscheint und einschlägt wie eine Bombe. Das Album klettert auf Platz drei der Billboard-Charts, sämtliche Singles sowie die Ariana Grande-Kollabo „Problems” gehen direkt auf die Eins und machen Iggy zu dem Zeitpunkt zur zweiten Künstlerin überhaupt, die es schaffte, mit ihren ersten Hot-100 Singles Platz eins und zwei der Charts zu belegen. Die anderen Künstler:innen, denen das gelang? Eine gewisse Band namens The Beatles.
Es erscheint also nicht zu hochgestochen, zu behaupten, dass alle Augen 2014 auf der Australiern ruhen. Was das für negative Folgen haben kann, erfährt der Breakout-Star in den nächsten Jahren mit ungeahnter Intensität am eigenen Leib. Schon im Folgejahr floppen sämtliche Versuche, an ihren bahnbrechenden Erfolg anzuknüpfen. Ihre neuen Singles fliegen unter dem Radar, ihre Tour sagt sie ab und medial wird sie einmal mehr als „Culture Vulture” angeprangert, die sich schamlos der schwarzen Kultur bediene. Ihre aggressiven Antworten sowie einige unkluge Kommentare, ihre Stellungnahme zum Rassismus in den USA betreffend, verspielen ihr in der Öffentlichkeit und besonders bei HipHop-Fans sämtliche Sympathien.
Doch nicht nur ihr Image leidet darunter, auch ihre musikalische Karriere und ihr Privatleben erfahren herbe Rückschläge. 2016 gründet sie eine Filmproduktionsfirma, die außer negativen Schlagzeilen nichts produziert. Es folgen die Trennung von ihrem Verlobten Nick Young und das ständige Verschieben ihres zweiten Studio-Albums „Digital Distortion”. 2017 ließ sie verlauten, ihr Label erlaube ihr es vorerst nicht, neue Musik zu veröffentlichen, was zur Folge hat, dass sie mit ihrer „Surviving The Summer”-EP ein neues Kapitel einleiten will. Das Release der EP markiert die Trennung von Def Jam und den Wechsel zu Island Records, der Erfolg bleibt jedoch erneut weitestgehend aus. Lediglich die Single „Kream” sorgt aufgrund des freizügigen Videos im Internet für Aufsehen.
Nachdem Iggy jedoch auch mit Island höchst unzufrieden ist, drückt sie 2018 endgültig den Reset-Button. Sie gründet mit Bad Dreams ihr eigenes Label, und legt „Digital Distortion” ein- für allemal ad acta. Ihr Comeback-Album „In My Defense” erscheint ein Jahr später und wird von der Kritik allerdings erneut in der Luft zerrissen. Gerade auch, weil die Introspektion, die der Titel verspricht, ausbleibt.
Die Reflektion findet bei Iggy eher in Interviews und auf Twitter statt. In einem Gespräch mit dem Billboard-Magazin spricht sie sich kritisch gegenüber ihrer Vergangenheit aus. „When you get thrown into the deep end, you have a natural inclination as a human to defend your character. There were times, in retrospect, where I was way too defensive.“ Gleichzeitig sagt sie aber auch, dass die Intensität der Kritik auch mit ihrem Geschlecht zu tun habe, und wirft man einen Blick auf Macklemore, einen weißen Rapper, der fast zeitgleich seinen Durchbruch feierte, fällt es schwer, zu widersprechen. Auch ihre toxische Beziehung zu Def Jam erläutert sie ein wenig. Das Label habe es ihr nicht erlaubt, sich zu weit von ihrer Pop-Erfolgsformel zu lösen, obwohl Iggy nicht mehr Musik „for your 10-year old daughter” machen wolle, wie sie selbst sagt.
Iggy Azaleas Karriere liefert ein Paradebeispiel dafür, wie schnell Erfolg zur Last werden kann. Sie ist eine Warnung. Eine Warnung vor dem Übereifer der Cancel Culture, vor der Hinterlistigkeit der Major Labels, vor Sexismus und vor dem uneinsichtigen Umgang mit Kritik.
2020 wirkt die Australiern reifer denn je, auch wenn ihre Musik, dass nicht immer widerspiegelt. Obwohl viele sie nach wie vor als Inbegriff der Scheinheiligkeit darstellen, zeugt ihre Biographie doch eher vom Gegenteil. Wer so besessen davon ist, seinen Traum zu verwirklichen, keinen Blatt vor den Mund nimmt (im Guten wie im Schlechten) und anschließend alles dafür tut, um sich selbst zu verwirklichen, darf guten Gewissens als „authentisch” bezeichnet werden. Als „real“, wenn man so will.