Jacki-O, the madame of Miami / ride around all day in a skirt, no panties”
Jacki-O – „Slow down“
Immer wieder gibt es in der HipHop-Historie Akteur:innen, die zeitlose Hits hierlassen, sich im Anschluss aber auf recht fragwürdige Weise entwickeln. Jacki-O, die sich inzwischen vom Rap-Geschehen ab- und Gott zuwendet und dabei recht problematische Aussagen trifft, ist so ein Fall.
Reist man zurück ins Jahr 2004, gibt es kaum ein Vorbeikommen an den expliziten Lyrics von Jacki-O. Mitten in den ersten Südstaatenhype hinein releast die Rapperin aus Miami ihr Debütalbum „Poe Little Rich Girl“. Die Gästeliste lässt sich sehen: Jazze Pha, Nottz, Timbaland und Cool & Dre steuern Beats bei, Ghostface Killah, Trick Daddy und die Ying Yang Twins geben sich im am Mikrofon die Ehre. Die Musikkritiker:innen begegnen der Newcomerin dagegen, wie so oft bei sexpositiven Künstlerinnen, mit wenig Wohlwollen.
Angela Kohn, so Jacki-Os bürgerlicher Name, infiziert sich in der Junior High School mit dem Rap-Fieber. Ihre Highschool-Zeit verbringt sie eigenen Aussagen zufolge größtenteils freestylend in den Gängen ihrer Schule statt im Klassenzimmer. Ihren Künstlerinnennamen übernimmt sie von der Witwe des Ex-US-Präsidenten John F. Kennedy. Um die Jahrtausendwende unterschreibt sie ihren ersten Plattenvertrag bei Poe Boy Entertainment. Ein erstes Lebenszeichen mit nationaler Tragweite erscheint 2003: Der Song „Nookie“, den sie später unter dem Titel „Pussy (Real Good)“ auf ihrem Debütalbum re-releast, entwickelt sich zum Underground-Hit. Dass sie die größten Erfolgsaussichten hat, wenn sie provoziert, scheint Jacki-O von Beginn an klar zu sein:
I just wanted to do something that would get peoples’ attention. And not only that, get my foot in the door and be creative. I wanted to do something that was empowering to women, as well as get peoples’ attention.”
Jacki-O im Interview mit rapreviews.com
Dem ersten Single-Erfolg folgen das Mixtape „The Official Bootleg“ und ein Deal mit TVT Records, das zu dieser Zeit auch ihren Kollegen Lil‘ Jon und Pitbull als Labelheimat dient. Das Mixtape wird zum Liebhaberstück, Featureparts von Freeway und Wyclef Jean, mit dem sie die haitianischen Wurzeln teilt, machen deutlich, welche Liga Jacki-O anstrebt. Medien und HipHop-Fans beißen an. Die andere Seite der Medaille: Es gibt vermutlich nicht einen einzigen Medienbericht zu Jacki-O, der keine Vergleiche zur ebenfalls aus Miami kommenden Rapperin Trina zieht. Weitere Vergleiche? Lil‘ Kim, Gangsta Boo, Da Brat, Shawnna, Khia, Foxy Brown. Auch hier geraten die wenigsten Gegenüberstellungen wohlwollend für die Künstlerinnen, vielmehr stellen Journalist:innen infrage, warum es zwischen all den „Sex kitten MCs“ denn noch eine Jacki-O brauche.
Jacki-O lässt sich davon jedoch nicht beirren, zeigt sich hungrig, fokussiert und teilt auf ihrem Debütalbum direkt gegen ihre Südstaaten-Kolleginnen Khia und Trina aus. Weitere Schlagzeilen macht sie nach dem Release von „Poe Little Rich Girl“ mit einem amtlichen Beef mit Foxy Brown. Im Disstrack „TKO“ tituliert sich Jacki-O selbst als Queen of the South, wirft Foxy vor, ihre Texte von einem Ghostwriter schreiben zu lassen, und bringt außerdem Referenzen zum legendären 1990er-Beef zwischen Foxy und Lil‘ Kim. Im selben Atemzug fordert Jacki: „You ain’t gotta like me but you gon’ respect me.”
Um zu zeigen, dass sie bereit ist, sich diesen Respekt zu erarbeiten, droppt Jacki-O bis 2011 durchgehend jährlich ein Mixtape. Nach finanziellen Streitigkeiten mit Poe Boy Entertainment, die die Künstlerin sogar in die Privatinsolvenz zwingen, erkämpft sie sich die Unabhängigkeit und gründet ihr eigenes Label Jackmove Ent. als Imprint von TVT Records. Dort erscheint 2009 ihr zweites Album „Lil Red Riding Hood“ mit der Leadsingle „Baby Mama“, das jedoch keine nennenswerten kommerziellen Erfolge einfährt. Parallel zu ihren Label-Struggles betätigt sich die Rapperin erstmalig auch als Autorin und veröffentlicht 2008 einen Roman mit dem Titel „Grown and Gangsta“, ein „urbanes Märchen“. Auch eine Autobiografie kündigt die Rapperin zwischenzeitlich an, konzentriert sich jedoch zunächst wieder aufs Musikmachen. 2010 und 2011 erscheinen ihre letzten beiden Mixtapes. In diese Ära fällt auch ihr letzter großer Disstrack „Bang Bang“, mit dem sie diesmal gegen Rap-Veteranin Lil‘ Kim schießt. Gegen Producer-Schwergewicht DJ Khaled teilt sie dagegen in einem Interview aus.
Wirkt Jacki-Os Karriere, von Labelkonflinkten abgesehen, bis hierhin sehr konsistent, steht 2004 der wohl größte Wandel ihrer musikalischen Laufbahn an, der zugleich das Ende ihrer Karriere bedeutet: In einem Statement gibt Jacki-O bekannt, dass sie ihren Glauben an Gott gefunden habe und von nun an nur noch christlichen Rap machen wolle. Ein neues Album von ihr werde kommen, wenn die Zeit reif sei – was bis heute nicht der Fall ist. Bei ihren Fans entschuldigt sich die Rapperin in ihrem Facebook-Post für ihre unmoralischen Songs. Was für viele Fans eine Überraschung war, deutete sich für Jacki über längere Zeit an:
I remembered looking down into the audience at three noticeably young girls singing one of my explicit songs word for word. They were dancing and twerking, and I remember feeling really bad about it. So, my transition didn’t happen 6 years ago. God was working on me while I was still doing music.“
Jacki-O im Interview mit The Hype Magazine (2020)
Im selben Interview mit dem Hype Magazine kritisiert Angela Agape – so nennt sich Jacki-O inzwischen – die Gentrifizierung des inzwischen vorherrschend bilingualen Miamis und die HipHop-Szene, die sie als „multi-billion dollar industry, owned mostly by Jews“ verteufelt. Artists seien im Studio von „dark and denomic forces“ eingenommen. Die Entwicklung von der „Madam of Miami“ zur „Woman of God“ scheint bei der Ex-Musikerin nicht ohne Radikalisierung und eine grausige Portion Antisemitismus vonstatten gegangen zu sein. Medien- und Social Media-Berichten zufolge ist Jacki-O inzwischen entweder ordinierte Pfarrerin oder Krankenschwester. Eine Rückkehr in die Musik schließt sie nach wie vor nicht aus. Ob wir uns diesen nach ihren letzten öffentlichen Statements wirklich wünschen sollten?