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Jean Deaux

Jean Deaux

Rapperin Jean Deaux gehört zu den spannendsten MCs der USA.

Jean Deaux ist ein gutes Beispiel, warum das gern genutzte Argument, es gäbe nicht so viele (gute) Frauen am Mikrofon, als dass diese in Zahl und Sichtbarkeit gleichberechtigt mit den Männern prämiert, auf Festival Bühnen gestellt oder in Magazinen portraitiert werden könnten, so ein großer Quatsch ist. Die Amerikanerin liefert seit 2018 im Jahrestakt gute Platten ab, wird von Kritiker:innen gelobt und versammelt bei Spotify mal eben über 250.000 monatliche Hörer:innen – und trotzdem findet sie erst jetzt, nach fast zwei Jahren und über 600 vorgestellten Künstlerinnen, einen Platz bei 365 Female* MCs. Absurd eigentlich. 

Die Rapperin, die auch wahnsinnig gut singen kann, zu beschreiben, fällt tatsächlich nicht leicht. Am nächsten kommt man Jean Deaux wohl, wenn man sie einfach als kreativen Kopf charakterisiert. Medium und Gerne sind zweitrangig, ihr kommt es einfach auf die Idee an. Wenn Deaux Lust auf etwas hat, zieht sie das auch durch. Mittlerweile dreht sie im Rahmen ihrer diversen und sehr arbeitsintensiven Auffassung ihres Jobs daher Musikvideos für Kehlani, schreibt Texte für sich selbst und andere, singt, rappt, veröffentlicht Projekte in Eigenregie und liefert begehrte Feature-Parts für Künstler*innen wie Mykki Blanco, Saba oder Smino am laufenden Band. 

Während ihrer Schulzeit beginnt die aus Chicago stammende Deaux, poetische Texte im Spoken Word-Format zu schreiben. Wie sie selbst sagt, hat sie in ihrer Jugend bereits mit den harten Gepflogenheiten der Chicagoer Straße sowie einem nicht sehr glücklichen Verhältnis zu ihrem Elternhaus zu kämpfen. Deshalb baut sie sich in ihren Texten einfach ihre eigene Welt. Gleichzeitig beschert ihr die kreative Arbeit eine stärkere Stimme nach Außen. Zu Beginn der 10er Jahre treibt sich Jean Deaux immer mehr in Chicagos Kreativszene herum, besucht Open-Mic-Sessions und lernt dabei über ihren Cousin auch Saba kennen. In dessen Studio nimmt sie erste Projekte auf und veröffentlicht diese auf Soundcloud

Nach drei EPs, die in Chicago entstehen, aber nicht wirklich ein Publikum finden, zieht Deaux zu ihrem 18. Geburtstag nach New York City. Eigentlich sollte der Umzug für sie ein Ausbruch aus den schwierigen Verhältnissen in Chicago werden, es kommt allerdings anders. Wenige Monate nach ihrem Umzug wird sie Opfer einer Vergewaltigung durch den Stylisten Ian Connor. Als sich die Anschuldigungen verschiedener anderer Frauen gegen Connor häufen, macht sie die Geschichte Jahre später auf ihrem Blog öffentlich. Ein Blick in ihre Diskografie genügt zudem, um den krassen Einschnitt zu erkennen, den dieser Akt sexueller Gewalt in ihrem Leben hinterlassen hat: Nach drei EPs in drei Jahren verschwindet Deaux für fast drei Jahre völlig von der Bildfläche.

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Der Anstoß, zurückzukehren, entspringt, neben einem gefestigten kreativen Umfeld, tatsächlich dem oben angesprochenen Blog-Eintrag und der öffentlichen Reaktion auf ihre Geschichte. Als die Gerüchte und Diskussionen um Ian Connor, dem mittlerweile über 30 Frauen sexualisierte Gewalt vorwerfen, immer mehr werden, schreibt die Rapperin in einer Kurzschlussreaktion den Song „Wikipedia“. Der Track mutiert schnell zu einem Befreiungsschlag. Etwas später erscheint dann im Jahr 2018 Deaux‚ vierte EP „Krash“. 

Thematisch verarbeitet „Krash“, wie Jean Deaux selbst sagt, das essenzielle Scheitern auf dem Weg zum Erfolg. Mit ihrer nächsten EP „Empathy“, die 2019 erscheint, schafft Deaux ihr bislang bestes Werk. Die einzelnen Songs auf der EP klingen wie gute Tagträume, denen man im Halbschlaf in einer Hängematte hinterherschaut. Die ruhige Musik legt sich wie ein Rahmen aus Watte um Deaux‚ Stimme, die sich langsam in verschwobenen Gesangspassagen aufbaut und sich schließlich in einem extrem klaren Rap-Part manifestiert. Wie bei einem guten Traum sind Anfang und Ende schwebend, während der zentrale Part die Message auf engem Raum herunterbricht. Was gibt es schöneres? 

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