Schon ihr Künstlerinnenname Justina sagt alles über Farima Habashizadehasl und ihre Mission als Musikerin aus: Es geht ihr um Gerechtigkeit, vor allem für die Menschen in ihrer Heimat Iran.
1990 in Teheran geboren, erfährt Habashizadehasl von klein auf, was es bedeutet, unter der islamischen Regierung des Irans aufwachsen zu müssen, insbesondere als Frau. Schon früh steht für Justina fest, dass sie später einmal Schauspielerin oder Entertainerin werden möchte. Es zieht sie auf die Bühne. Die Begeisterung ihres Vaters für US-amerikanische Pop-Musik springt über und motiviert das junge Mädchen dazu, die Lieblingssongs zu covern. Doch zu mehr als Performances im geschützten familiären Kreis kommt es zunächst nicht. Darf es nicht kommen, denn: Seit der iranischen Revolution von 1979 kontrolliert die autokratische Islamische Republik die gesamte iranische Kulturindustrie. Kritik am Regime und an der iranischen Gesellschaft wird strengstens zensiert, sogenannte ‚westliche‘ Musik unterbunden. Zudem gelten Gesetze, die es Frauen bis heute verbieten, als Sängerinnen und Musikerinnen allein auf der Bühne vor Publikum aufzutreten. Wenn überhaupt, ist dies nur in Begleitung eines Mannes oder als Teil einer Gruppe als Background-Sängerin erlaubt.
Die strengen Gesetze halten Habashizadehasl jedoch nicht davon ab, ihren Traum von der Bühne weiterzuverfolgen. Seit sie 13 Jahre alt ist, verfasst sie ihre eigenen Texte. Inspiriert von zunächst US-amerikanischem und später auch persischem Rap, findet sie im Songwriting ein Ventil, um ihre Gefühle, Sorgen und ihren Missmut zum Ausdruck zu bringen. Im Alter von 22 Jahren schließt sie nicht nur ihr Studium der Theaterwissenschaften ab, sondern sammelt auch erste Erfahrungen im Aufnahmestudio – alles aus dem Untergrund heraus, selbstverständlich.
Mit ihrem ersten professionellen Release „Ghadam Be Ghadam“ (dt. „Schritt für Schritt“) setzt Justina 2013 ein wichtiges Zeichen. Ähnlich wie ihre Kolleginnen Farinaz oder Salome MC, sprengt die Rapperin mit ihrer Musik Erwartungen und setzt sich für mehr Sichtbarkeit sowie Akzeptanz von Frauen im iranischen Rap ein.
Justina hält mit ihrer feministisch aufgeklärten Art nicht zurück und adressiert in ihren Songs unerschrocken soziale (Un)Gerechtigkeit, Menschenrechte und die Diskriminierung von Frauen und sexuellen Minderheiten. Derartig widerständiges künstlerisches Verhalten bleibt nicht lange unentdeckt und leider seitens des Regimes auch nicht ungestraft: Nachdem sie von der Revolutionsgarde 2018 für drei Tage verhaftet, verhört und letztlich wegen moralischer ‚Korruption‘ zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wird, flieht die Rapperin zunächst nach Georgien und dann nach Schweden. Hier lebt sie bis heute aus dem Widerstand heraus.
Wie sie in der von Regisseur Omid Mirnour zwischen November 2023 und März 2024 independent realisierten Dokumentation „Rap & Revolution Iran“ erzählt, hat sich, auch im Exil lebend, nichts an ihrer kämpferischen Einstellung geändert. Sehr wohl reflektiert sie im Interview mit The Irish Times jedoch, dass sich ihre Position mittlerweile verändert habe. Sie müsse bei weitem nicht mehr mit denselben Konsequenzen rechnen wie ihre Fans oder Rap-Kolleg:innen vor Ort im Iran.
Erst im Juli 2022 veröffentlicht Justina mit dem iranischen Rapper Toomaj Salehi die Single „Pichak“.
Innerhalb kürzester Zeit entwickelt sich der Song zu einer Art Soundtrack über den Freiheitswunsch der dort lebenden Bevölkerung und gewinnt im Zusammenhang mit der Protestbewegung im Iran, ausgelöst vom Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022, noch einmal an Relevanz.
We are phoenix, we rise from ashes
Lyrics aus „Pichak“ von Justina feat. Toomaj Salehi
We are fire in this cold weather
We are endless like soil
We storm up, so stand up“
Während ein Revolutionsgericht Toomaj für seine Teilnahme an den Protesten sowie seine kritische Haltung in seinen Songs und in den Sozialen Medien am 30. Oktober 2022 zum Tode verurteilt1, lässt sich Justina nicht mundtot machen. Sie rappt weiterhin mit Songs wie „Radical“ zusammen mit Bahar Atish gegen das Regime an und kämpft aus der Ferne für die Freiheit der Menschen in ihrer Heimat und für mehr Gerechtigkeit in dieser Welt. Man kann nur hoffen und wünschen, dass sich dieser Kampf schnell auszahlt und die lang ersehnte Revolution eintritt. Bis dahin heißt es unermüdlich weiter: „Jin, Jiyan, Azadî!“2
1 Laut Amnesty International wurde das Todesurteil im Juni 2024 aufgehoben, allerdings wurden neue Vorwürfe gegen Salehi erhoben, die zu einer weiteren Gefängnisstrafe führen könnten.
2 Der Ausruf „Jin, Jiyan, Azadî“ (dt. „Frau, Leben, Freiheit“) entwickelte sich zum politischen Slogan im Rahmen der Protestbewegungen gegen das iranische Regime ab September 2022.