Was macht man, wenn der Status Quo in der Rap-Musik einem missfällt? Man macht es einfach besser! Als K.Flay 2003 ihren ersten Song „Blingity Blang Blang” auf die Aufforderung eines Freundes hin schreibt und aufnimmt ist sie genervt von dem formelhaften, misogynen Mist, für den sie die großen Hip-Hop-Hits Anfang des Jahrtausends hält. Gerade volljährig und quasi ohne vorherige Musikerfahrung parodiert sie überspitzt die überlebensgroßen Fantasien, die in der Bling-und-Party-Zeit des Raps so omnipräsent sind: Diamanten, an denen man sich verschlucken und Ketten, mit deren Wert man die Infrastruktur einer Kleinstadt instand setzen könnte. Was vielleicht einem Anflug von minimalem Größenwahn entwächst, zeigt Kristine Meredith Flaherty aus Illinois aber vor allem eine Sache: Musik macht Spaß und ihr Alter Ego K.Flay hat eine Zukunft.
Also schreibt Flaherty an ihrem Laptop und produziert sich selbst. Nebenbei spielt sie auf Campus-Partys der renommierten Stanford University, auf der sie unabhängig von ihrem musikalischen Werdegang wenige Jahre später auch ihren Abschluss macht. 2005 lädt sie ihr erstes Mixtape „Suburban Rap Queen” ins Internet. Hört man heute in alte Sachen der Amerikanerin rein, muss man konstatieren: Es ist anfangs anachronistisch wirkender White-People-Rap und stellenweise ein bisschen cringy. Aber auf eine sympathische, offene, tolerante Art – mit harmlosen Zeilen und Slacker-Humor. Doch zumindest in einer kleinen Community trifft sie auf Interesse, bleibt dran und releast unter dem Labelnamen Flayzer Beam in den nächsten Jahren weiter Projekte, auch wenn sie mit EPs und Mixtapes das Albumformat vorerst umschifft. Vermutlich länger, als sie damals wissen kann.
2011 kulminiert alles ein erstes Mal mit einem ersten großen Paukenschlag. Sie releast ihr Mixtape „I Stopped Caring in ’96” und wird einige Monate später vom Traditionslabel RCA Records gesigned. Was der Claim to fame hätte werden können, wird für K.Flay zu einer zwiespältigen Erfahrungen, denn das Label und sie haben unterschiedliche Ideen. Für Flaherty ist ein Album der nächste logische Schritt, für die Verantwortlichen nicht. Also verlässt sie RCA einvernehmlich wieder, verliert aber die Rechte an über 60 Songs, die sie während der Zeit aufnimmt. Wie die offenherzige Musikerin gesteht, war es eine harte Erfahrung, von der sie heute aber als einer tolle Zeit erzählen kann. Der Vorschuss, den sie damals bekam, ermöglichte ihr Dutzende von Sessions und Songs und damit vor allem künstlerisches Wachstum.
Was macht man also, wenn ein großes Label kein Album mit einem rausbringen will? Man macht es einfach selbst! Wobei „selbst” in K.Flays Fall bedeutet, unter gütiger Mithilfe unzähliger Fans, die sie sich durch konstante kleine Releases und Live-Performances über die Jahre erarbeitet hatte. Denn über zehn Jahre nach dem ersten Gehversuch, ist es 2014 endlich soweit: „Life as a Dog” erscheint per Crowdfunding, das das gesetzte Ziel nebenbei wie selbstverständlich übertrifft. Die gelungene Symbiose aus Indie- und Hip-Hop-Elementen ist weit weg vom oldschooligen Rebellentum, das Auslöser für Flahertys Karriere war. Die Texte sind persönlicher, emotionaler. Der Humor ist noch da, aber genauso Verletzlichkeit und im besten Sinne eingängige Gesangspassagen.
Irgendwo zu dieser Zeit verwischt auch die letzte Grenze zwischen der Rapperin K.Flay und der genialen genrefluiden Musikerin, die sich in kein Korsett zwängen will. Parallel öffnen sich neue Türen. Dan Reynolds von Imagine Dragons signt sie 2016. Durch Placements in Filmen, Serien und Werbung bekommt K.Flays zweites Album „Every Where Is Some Where” öffentlichkeitswirksam eine Plattform und der nächste große Paukenschlag kommt 2018 in Form von zwei Grammy-Nominierungen (Best Engineered Album, Non-Classical und Best Rock Song für “Blood in the Cut”). Und auch wenn Pop-Refrains und Rock-Elemente zu diesem Zeitpunkt viel Raum in ihrer Musik einnehmen, ist der HipHop-Einfluss in Form von klatschenden Drums und ballernden Basslines immer noch spürbar. Auch die Punchlines sind im weitesten Sinne erhalten geblieben.
Hört man sich das 2019er-Album „Solutions” an, findet man den ein oder anderen Spit. Dabei Rhymes in einer Qualität, in der man sie in populärer Musik nicht erwartet. Die 1985 geborene Kristine Meredith Flaherty ist dem Rap also nicht per se entwachsen, sie hatte nur keine Lust auf Stagnation. Sowieso ist Spaß bei ihr ein zentrales Thema. Es geht ihr um Offenheit und Empowerment. Mit ihrer sympathischen, lustigen Art und starken Meinungen, aber auch der erwähnten Verletzlichkeit und Nahbarkeit ist Flaherty der Inbegriff der coolen besten Freundin, die man sich immer gewünscht hat:
„I like myself most of the time. Is that a crime?”, fragt sie in einer der Singles und offenbart Selbstliebe, ohne sich narzisstisch selbst zu überhöhen. Gleichzeitig widmet sie mit „DNA” ihrem Vater, der an den Folgen von Alkoholismus stirbt, als sie 14 ist, einen der emotionalsten Songs ihrer Karriere. Über zwei Strophen schiebt sie vermeintliche Ähnlichkeiten mit ihm von sich weg, nur um ihn in einer umwerfenden letzten Strophe doppelt so fest zu umarmen. K.Flay ist das Gesamtpaket, der Prototyp einer umfassenden Musikerin.
Zu diesem Gesamtpaket gehören natürlich auch energiegeladene Liveauftritte. Wer die Chance hat, sollte sich K.Flay dringend live ansehen. Schon wenn sie von Auftritten erzählt, leuchten ihre Augen und sie redet von Konzerten wie von einer großen Kollabo mit dem Publikum, in der alle Teile einen Beitrag zu einem überragenden gemeinsamen Erlebnis leisten. Sie schafft es, positiv zu sein und Leuten Mut zuzusprechen, ohne dass sie sich in Phrasen oder Banalitäten verliert – sogar wenn sie sich einfacher Sprache bedient. Selbstverständlich machen sie all diese Eigenschaften auch zu einer beliebten Kollaborateurin für hochprofilierte Künstler*innen wie Mike Shinoda, Tom Morello oder Pvris.
Für ihr aktuelles Projekt hat K.Flay – wie könnte es anders sein – wieder etwas Neues probiert. „I started thinking about how a lot of young men are taught not to show vulnerability and instead channel that emotion into forms of aggression or hostility”, kontempliert sie im Interview mit dem NME. „Inside Voices / Outside Voices” ist der Versuch, weibliche Verletzlichkeit in Wut umzuleiten. Nicht immer nur nett zu sein, weil es im Patriarchat so erwartet wird. „Half the battle in life is just giving yourself the license to do anything”, führt sie weiter aus und erlaubt sich musikalisch einfach selbst den Ausbruch. Zusammen mit Travis Barker lässt sie in „Good Girl” die ganze Welt wissen, dass sie keine Lust mehr hat, ermüdet ist, von der Erwartungshaltung.
Auch das ist eine Qualität von K.Flay. Sie reflektiert ihren Platz im System. „I started thinking about capitalism and how this structure I’m embedded in is inherently racist, misogynic, classist and xenophobic“ und versucht, einen Umgang damit zu finden, dass sie selbst trotzdem partizipieren, ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch haben muss. Sucht den Austausch mit guten Freunden wie zuvor genanntem Tom Morello, damit sie nicht nur theoretisch oder akademisch über die gesellschaftlichen Probleme Bescheid weiß. K.Flay ist noch lange nicht am Ende ihrer Reise angekommen, lernt bereitwillig dazu und wird immer besser. Wenn die letzten mittlerweile fast 20 Jahre Musikkarriere eine Sache gezeigt haben: Wenn es niemand anderes machen will, dann macht K.Flay es eben selbst.
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