I want the grandma, the mum and the kids to be able to jam in the car – how am I gonna do that?“
Diese Frage stellt sich Kanis aka Niska zu Beginn ihrer Karriere. Heute zählt sie den top HipHop-Künstler:innen Haitis, ist gefeierter Star der haitianischen Diaspora und steht seit Ende 2019 bei Sony Music unter Vertrag. Auch wenn ihre Karriere noch lange nicht zu Ende ist, lässt sich retrospektiv sagen: scheinbar geglückt.
Mit 14 Jahren teilt die heute 27-Jährige ihrer Mutter mit, nun HipHop-Künstlerin werden zu wollen. Knapp zwei Jahre später richtet sie sich in ihrem Zimmer ein Tonstudio ein und fängt an, an Texten zu arbeiten und diese aufzunehmen. Zunächst auf Englisch, schreibt die gebürtige Haitianerin mit der Zeit vermehrt auf Kreyòl. Geboren und aufgewachsen in Port-au-Prince, verlässt sie als Jugendliche mit ihrer Familie Haiti und zieht in die USA. Dort wohnt sie in Miami, zum Studieren geht sie nach New York. Doch die junge Künstlerin zieht es weiter. Der Wunsch, zurück in ihr Geburtsland zu gehen und sich mit ihrer Kultur auseinanderzusetzen, treibt Kanis um.
2015 verschlägt es sie für einige Jahre wieder nach Haiti, dort beschäftigt sie sich mit Vodoo, regionalen Tänzen, der kreolischen Sprache und besonders mit den gesellschaftlichen und politischen Umständen vor Ort. Niska Garoute, wie Kanis gebürtig heißt, befindet sich einem Spannungsfeld. Zwischen dem Überlebenskampf des instabilen, postkolonialen Haitis und ihrem bürgerlichen Leben als Masterstudentin in New York, geprägt von eher materialistischen Ansätzen des zeitgenössischen US-Raps entsteht ihre eigene Erzählung.
Moving to Haiti and seeing so much the despair and the pain – coming from a place where hiphop is about the money and sex and drugs [… ] In Haiti we don’t even have money to eat – so whats drugs?!“
Rassismus, Spaltung, Krieg, die Rolle der Frau, aber auch Aufbruch, Zusammenhalt und Spiritualität: All diese Themen und Einflüsse packt sie in ihre Musik und veröffentlicht 2017 ihr Debütalbum „Enéji“ (Energie). So vielfältig wie die inhaltliche Gestaltung ist auch der Sound. Kanis will Labels und Kategorien überwinden – das versucht sie auch stilistisch. Eingerahmt von karibischen Rhythmen finden sich auf „Enéji“ Afro-, Dancehall- und poppige Trapbeats.
Nach der Veröffentlichung ihres Albumdebüts ist es länger still um die polyglotte junge Frau. Sie zieht nach Paris und arbeitet weiter an ihrer Musik. Um nicht mit dem französischen Rapper Niska verwechselt zu werden, ändert sie ihren Bühnennamen in Kanis. 2019 erscheint gemeinsam mit der Dancehall-Künstlerin Lady Lova „Eyes On Me“, ihre erste Single auf Französisch. 2020 sollte eigentlich ihr Jahr werden. Doch wegen der Covid-19-Pandemie verzögern sich geplante Projekte. Im Sommer bringt Kanis mit „Tic Toc“ dann aber doch ihren bisher erfolgreichsten Song an den Start. Dass hinter allem nun ein Major-Label steht, macht sich in Produktion und Video bemerkbar. Dennoch bleibt der emanzipatorische DIY-Charakter erhalten. Wenn es drauf ankommt, kann die studierte Architektin mit einem Master in Kunst und Design ohnehin alles selbst machen: Skillz in Audio Engineering hat Kanis natürlich auch.