Es handelt sich leider um ein gängiges Narrativ unter Künstler:innen, dass vieles, das ihnen im Leben passiert ist, vor allem Zufall oder gar Glück gewesen sei. Keine Frage, der Neoliberalismus hat uns alle in seinen Fängen, aber so ganz wollen wir an diese Erzählung nicht glauben. Oft reicht schon ein genauerer Blick, um festzustellen, dass Selbstdisziplin, Engagement und sehr viel Leidenschaft, meistens für Musik, derartige Lebensgeschichten oder Karrieren prägen und vorantreiben. So auch der Fall bei der in Straßburg aufgewachsenen, heute in Paris lebenden Newcomerin Kay The Prodigy.
Als eher durchschnittliche Schülerin gibt es für Kay im Teenageralter nicht viel, das sie wirklich begeistert, außer eben Musik. Für sich selbst rappt sie bereits seit ihrem 15 Lebensjahr still und heimlich ihre eigenen Zeilen. Erst als ihre Musiklehrerin jedoch allen Schüler:innen die Aufgabe gibt, einen eigenen Text zu schreiben, erwacht die Passion. Einerseits will sie eine gute Note abgreifen, andererseits aber auch allen beweisen, dass sie es draufhat, zu texten. Zusammen mit einer Freundin steckt sie gut eine Woche intensive Arbeit in die Lyrics und räumt am Ende 16 von 20 Punkten ab. In unserem deutschen Notensystem entspricht das etwa einer 1,0: Kann man machen.
Aus heutiger Sicht stuft die Rapperin den Text inhaltlich eher als mittelmäßig ein, aber der Flow saß. Noch viel wichtiger: Sie entdeckt ihr eigenes Talent und wie viel Spaß es ihr bereitet, Musik zu machen. Wie Kay The Prodigy im Interview mit Radio France erzählt, knüpft sie kurze Zeit später auf einer Party erste Kontakte mit Akteur:innen des Kollektivs LDE (Le Dernier Étage). Eine karriereweisende Begegnung, die nach Zufall aussehen mag, aber hätte The Prodigy in diesem speziellen Moment nicht eindeutig mit ihren Rap-Skills überzeugt, wäre es wohl kaum zur weiteren Zusammenarbeit gekommen, oder?
Zusammen mit LDE arbeitet das junge Rap-Talent an ihren Reimen, ihrem Flow und ihrer Artikulation beim Spitten. Vor allem aber zeigen ihr die DJs und Produzent:innen des Kollektivs zahlreiche weitere Musikstile, und sie findet mehr und mehr zu ihrer eigenen künstlerischen Identität. Tatsächlich steht Kay The Prodigy in ihren jungen Jahren französischem Rap eher abgeneigt gegenüber. Wenn überhaupt, orientiert sie sich eher an US-amerikanischen Vorbildern. Die Arbeit zusammen mit LDE und an sich selbst sowie die parallel dazu stetig aufstrebende frankophone Rap-Szene hinterlassen jedoch Spuren: Kay The Prodigy ist hyped und hungrig, ihr Talent zu beweisen.
2021 gibt die MC mit „Sentiments“, einer Trap-Nummer mit dunklen 808-Bässen, selbstsicher ihr Debüt und überzeugt in puncto Rhymes, Flow, Geschicklichkeit, und Melodieführung. Der erste Eindruck sitzt jedenfalls. Noch im selben Jahr erscheint die Nachfolgesingle „2nite“, die weitaus leichter und melodiöser daherkommt, aber nicht minder mit einer abgerundeten Produktion besticht. Schon hier zeichnen sich The Prodigys Experimentierfreude und Wandelbarkeit ab. Nach weiteren Releases im Verlauf des Jahres katapultiert der Track „Prestige“ die junge Künstlerin Ende 2022 auf den Radar der frankophonen Szene: Sample Drill it is!
In genau diese Kerbe schlägt auch ihre fünf Tracks starke EP „Eastern Wind“, die in enger Zusammenarbeit mit dem Produzenten Mezzo Millo entsteht und die musikalische Bandbreite der Rapperin unter Beweis stellt. Nicht ohne Grund gilt das junge Talent mit ihren messerscharfen Reimen über eingängie Melodien, Trap-Beats und Drill-Percussions seitdem als das Gesicht der französischen Sample Drill-Szene.
Wir sind jedenfalls gespannt mit welchen Klängen uns Kay The Prodigy 2023 noch so begeistern wird: klare ‚Artist To Watch‘-Empfehlung unsererseits!
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