Es begann alles damit, dass die britische Teenagerin, die sich jetzt Keyah/Blu nennt, nachts betrunken durch Twitter scrollte. Dort stolperte sie über einen Tweet des Rappers Denzel Himself, der nach einer weiblichen Stimme für einen seiner Tracks suchte. Kurzerhand schickte sie ihm die einzige Aufnahme ihrer Stimme, die ihr bis dahin brauchbar erschien: eine Sprachnotiz, in der sie Frank Oceans „Thinking Bout You“ trällert. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, befanden sich bereits sechs fertige Beats in ihrem Postfach, die nur noch auf ihre Stimme warteten.
Was dann passierte, schildert sie emotional in einem Loud and Quiet-Interview:
“I spent the next three days missing school – I was sick, or at least I think I was – and just working on what he’d sent me. That was a real turning point. It was the first time somebody had really validated me, and something about those beats brought something out in me that I didn’t really know I had. We kept going back and forth with more tracks, to the point that I ended up dropping out of school, because I’d just stopped turning up. I was just at home working on music all day. For the first time in my life, I knew I wanted to do something. Before that, I didn’t give much of a shit about anything.”
Die atemberaubend gute COLORS-Session des Tracks „Melty“ mit Denzel Himself machte Keyah/Blu erstmals für eine breite Öffentlichkeit sichtbar. Die zwei Kollabo-Tracks mit ihrem Entdecker und Förderer Denzel oder aber auch die Zusammenarbeit mit Produzent Joy Orbison für dessen Track „Under“ können sicher als eine Art Öl betrachtet werden, das den Motor für Keyah/Blus Karriere zum Laufen gebracht hat. Gleichzeitig war der jungen Musikerin immer klar, dass sie künstlerisch auf eigenen Beinen stehen will. Weshalb sie sich kurzerhand autodidaktisch beibrachte, wie sie ihre eigenen Beats baut. Wie das klingt, lässt sich auf ihrem bisher wohl besten Track „Choker“ nachhören, den sie 2019 samt beeindruckend verstörendem Video veröffentlichte.
Auch wenn der musikalische Katalog bisher überschaubar ist, machen die wenigen düsteren Rap/R&B/Soul-Songs der Britin jetzt schon süchtig. Musikmedien werfen mit den großen Referenzen um sich. Zwei Beispiele: Im Crack Magazine heißt es:
„…her sing-rapping style and off-kilter self-productions have echoes of the eyes-down R&B of THEESatisfaction, the street-savvy sweetness of Tirzah and the bare-all minimalism of Frank Ocean – but with an unmistakably individual twist.“
Und Pitchfork analysiert:
„… she flexes different delivery styles, hopscotching between IAMDDB’s swagger, Noname’s tongue-twisting wordplay, and Chynna’s nihilistic plain-spokenness.“
Die Palette der vergleichbaren Künstler*innen ist so breit gefächert, da die Art, wie Keyah/Blu ihre Stimme einsetzt, weder eindeutig Rap noch R&B noch Soul ist. Sie ist alles zeitgleich. Die Künstlerin switcht nicht von Strophe zu Refrain und zurück zwischen den einzelnen Genres. Sie bedient sich immer allem gleichzeitig, gleitet scheinbar mühelos auf einem Floß aus mehreren Stilen durch ihre Songs. Nichts daran ist am Reißbrett entworfen. Keyah/Blu hat einfach angefangen, Musik zu machen, und dabei ganz nebenbei auf innovative Art ihre eigene individuelle und einzigartige Nische geschaffen, an der sich sehr bald andere Künstler*innen abarbeiten werden.