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Lady Shocker

Lady Shocker

Manche Karrieren beginnen nahezu zwangsläufig. Du bist zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und findest dich mitten im Geschehen wieder. Bei Lady Shocker lief das so. Als musikinteressierter Mensch um die Jahrtausendwende in der Bow im Osten Londons zu leben und nicht von der dort aufblühenden Grime-Szene mitgerissen werden: offenbar ein Ding der Unmöglichkeit.

I was born and raised in it. I know nearly every MC in the game and thats because I went to every youth centre, every club.“

– Lady Shocker im Interview mit Roman Road London

Ihr ganzes Leben lang sei sie von Musik umgeben gewesen, erinnert sich Lady Shocker, und sobald es das Genre gab, war Grime die Spielart, die sie bewegte. Wie soll es auch anders sein, wenn dessen Akteure – Akteurinnen bilden zunächst noch die rare Ausnahme – buchstäblich nebenan leben? „Ich musste nur aus dem Haus gehen und stolperte über irgendwen.“ Bionics, der als Kanos DJ zu Ehren kam, wohnt nur ein paar Türen weiter. Andere kommen sogar ins Haus: „Mein Bruder hing früher mit God’s Gift bei uns zu Hause ab, und sie spitteten ihre Lyrics“, erzählt sie. „Ich hab‘ es mir bei ihnen abgeschaut.“ Mit Erfolg, wie es scheint: Wenig später stößt sie, eingefädelt vom befreundeten MC Villain, zur Wolf Pack Crew:

I joined wolf pack after ‚Bow 4 Da Wolves‘ was recorded and that came about because Villain has always been a really good friend of mine and he brought me into the collective. Being a part of Wolf Pack I got to watch the scene develop from the beginning.“

– Lady Shocker im Interview mit thegrimeneek

Das Rudel hat fortan eine Leitwölfin: Lady Shocker firmiert als First Lady of Wolf Pack, the Queen of the Pack. Weibliche Konkurrenz oder Kolleginnenschaft existiert in den frühen Grime-Tagen ohnehin noch kaum: „Als ich angefangen habe, gab es keine anderen Mädchen, nur ein paar wenige, Fury Shystie zum Beispiel. Es macht mir also nichts aus, alleine unter Männern zu sein“, stellt sie klar. Dennoch arbeitet sie später gegen diesen Zustand entschieden an: Sie bündelt die zunehmend stärker vertretenen weiblichen Kräfte im Grime im Kollektiv Female Allstars, in dessen Reihen auch Miz, Frankie StayWoke oder NyNy aktiv sind. Den Ehrentitel The General macht ihr jedoch keine streitig:

Den hat sich Lady Shocker angemessenerweise in zahllosen Battles verdient. Clashing ist ihr Ding, einer Auseinandersetzung am Mic geht sie niemals aus dem Weg. Sie ist Stammgästin bei Battle-Formaten wie Lord of the Mics, Don’t Flop oder Words Are Weapons, tritt in Radio- und TV-Shows auf, und macht sich natürlich einen guten Namen als Live-MC. „Am Anfang drehte sich eh alles um Piratensender, Jugendclubs und Raves“, denkt sie zurück. Da sie sich früh angewöhnte, eine Kamera überall mit hinzuschleppen, besitzt sie Unmengen an Footage aus den Zeiten, als Grime noch in seinen Kinderschuhen steckte.

Auf ihr Genre lässt Lady Shocker nichts kommen: „In welch schlechtes Licht Leute ihn auch rücken wollen, Grime hilft den Menschen, aus widrigen Umständen herauszukommen“, zeigt sie sich überzeugt. „Grime verschafft ihnen ein Leben, etwas, um sich darauf zu fokussieren. Ganz egal, wie viel Negativität ihm auch entgegenschlägt: Es ist eine wundervolle Sache, dass ein eigenes Genre daraus erwuchs.“ Sie selbst schätzt vor allem die Ausdrucksmöglichkeiten, die ihr die Musik bietet:

When I listen to a good beat, I get the vibe of, ‚What can I write to this?‘ Whereas producers would hear a good beat and catch a different vibe […] I like expressing myself, I like the different flows. Every aspect of writing just got me.“

Lady Shocker im Interview mit Roman Road London

Sich selbst auszudrücken genießt bei Lady Shocker oberste Priorität, und wenn sich vernagelte Mitmenschen an ihrer Haltung, ihrer Lebensweise oder – wie geschehen – an ihrer sexuellen Orientierung stören, gibt sie denen gleich den nächsten Track mit auf den Weg. „I Am What I Am“ etwa, mit dem sie auf eine Flut an homophoben Kommentaren und Tweets reagierte: „Dieser Tune zeigt, wie ich mich damit fühle, und erklärt den Umstand, dass das nichts ist, für das man sich entscheidet.“ Nö, es ist, wie es ist, und Lady Shocker wirkt auch alles andere als unglücklich damit:

Mit ihrer eindeutigen Haltung inspiriert Lady Shocker auch andere. Alice Dee etwa schwärmt im MZEE-Format Diggen mit… :

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Lady Shocker habe ich durch das Buch ‚Too Many Man: Woman of Grime‘ entdeckt und feiere sie seitdem. In dem Buch sagt sie viele gute Sachen und spricht darüber, wie sie sich als queere MC in der Szene fühlt. Das Buch kann ich auf jeden Fall empfehlen. Es geht eben um die Liebe zur Szene, aber gleichzeitig auch den Hustle, sich darin behaupten zu müssen.“

– Alice Dee gegenüber MZEE

… eine Lese-Empfehlung, der wir uns übrigens ausdrücklich anschließen.

Daran, wo Grime herkam, lassen wir uns danach gerne noch einmal von Lady Shocker persönlich erinnern: aus der Bow, nämlich, der East-Londoner Hood mit dem Postleitzahlen-Kürzel E3, eingerahmt von den Straßenzügen Roman Road, Pulteney Close, Candy Street und Lefèvre Walk. Keine Gegend für Feiglinge:

You better know where I come from, E3 L-O-N don
Roman, that’s where my thugs from
Mums tell their sons just don’t go Roman
Pulteney, Candy or Lefèvre
Just don’t do it, cause that’s where the Gs are
[…]
Tryna put Bow back on the map
Cause this where it started, you better know that
E3 L-O-N don, got Bow on my back.“

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