She’s a young phoenix making dance music that lifts your spirits as much as it is a direct reaction to the transphobia plaguing Brazil and the world.“
Mykki Blanco, Dazed
Mit diesen energetischen Worten beschreibt Mykki Blanco ihre Bekannte Linn da Quebrada und könnte richtiger kaum liegen. Auf dem Vogue Brasil-Cover oder in der Amazon-Serie „Manhãs de Setembro“: Die Brasilianerin ist gekommen, um den heteropatriarchalen Normalzustand zu sprengen.
Die 31-Jährige gilt als absolute Ikone der brasilianischen LGBTQIA+-Community. Ob als Musikerin, Schauspielerin, Drehbuchautorin oder Moderatorin: Ihre Kunst dient dem intersektionellen Kampf für die Rechte und Sichtbarkeit von Transpersonen. In Brasilien hat sich die Situation für Transpersonen, besonders für Transpersonen of Colour, nachhaltig verschlimmert. Nach dem Wahlsieg des rechtsradikalen Fundamentalisten Jair Bolsonaro nehmen Transfeindlichkeit und Rassismus deutlich zu. Kurz vor dem Jahreswechsel kann die Künstlerin nach vielen juristischen Unwägbarkeiten endlich ihre Namensänderung vollziehen und nun offiziell als Lina Pereira dos Santos unterschreiben. Unter Tränen zeigt sie auf Instagram ihre neue Geburtsurkunde und feiert gemeinsam mit Millionen Fans diesen wichtigen persönlichen und politischen Erfolg.
Zur Musik kommt da Quebrada über das Theater und die dortige Arbeit mit dem Körper und den eigenen Emotionen. 2017 erscheint mit „Enviadescer“ der erste Track sowie kurz danach das Albumdebüt „Pajubá“. Auf „Pajubá“ wie auf der zweiten Platte „Trava Línguas“ entsteht eine jeweils schwer einzuordnende Klangästhetik. Doch wozu einordnen?! Linn da Quebrada lädt dazu ein, sie auf der Suche nach neuen Klangfarben und -frequenzen, die mit Synthesizern, dem Mund oder dem Körper erzeugt werden, zu begleiten. Die experimentelle Produktion zieht Verbindungen vom Karneval über die Nueva Canción bis zu Reggaeton und Funk. Gemeinsam mit der DJ und Produzentin BADSISTA sowie der Sängerin und Songwriterin Jup do Bairro erschafft Linn da Quebrada einen brasilianischen Urban Sound, der mit gängigen Hörgewohnheiten bricht.
Mit meiner Kunst möchte ich über diese neuen Kräfte der Körper nachdenken, über die Möglichkeit, neue Liebesbeziehungen, neue Familienkerne, neue Systeme, neue Lebensformen, neue Weltprojekte zu schaffen.“
Linn da Quebrada, Vice
Der einzigartige Sound und die innovative Perfomance katapultieren da Quebrada weltweit auf Bühnen und in Radiostationen. Ihre Kunst entwickelt sich zu einem wichtigen Kristallisationspunkt für die brasilianische queere Schwarze Community und bringt Anfragen von überall auf der Welt mit sich.
2018 soll Linn da Quebrada auf dem LGBTQ+-Film-Festival TLVFest in Tel Aviv auftreten. In Anlehnung an die Boykottkampagne BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) sagt da Quebrada das Engagement ab, um gegen die israelische Siedlungspolitik in der Westbank protestieren. BDS steht in der Kritik, antisemitischen Positionen zu bedienen oder Israelkritik zu schüren beziehungsweise sich zu ungenau davon zu distanzieren. Mit der Absage agiert die Performerin in einer Reihe internationaler Künstler:innen, die ebenfalls Auftritte in Israel boykottieren. Sicherlich hat die Absage der meisten Künstler:innen keine explizit antisemitischen Hintergründe, doch angesichts der komplizierten und fragilen Situation um Israel und Palästina zumindest kritikable.
Heteronormativität ist zerbrechlich wie eine Eierschale. Das ist der Grund, warum die Gesellschaft so viele Hürden aufbaut: Weil es sich um ein System handelt.“
Linn da Quebrada, Vice
Linn da Quebrada geht es nicht ausschließlich um Repräsentation von marginalisierten Personen, sondern vor allem um Partizipation. Eine Veränderung tradierter gesellschaftlicher Missstände benötigt Interventionen, und zwar von denen, die am meisten unter den gegebenen Strukturen leiden. Mit einer vielfältigen Bandbreite an Aktivitäten verschafft sich das Multitalent nicht nur eine Stimme, sondern manifestiert diese auch im öffentlichen und medialen Raum. Für den international prämierten Dokumentarfilm „Bixa Travesty“ schreibt sie am Drehbuch mit und spielt die Hauptrolle. Seit 2019 moderiert sie gemeinsam mit Jup do Bairro die Talkshow „TransMissão“. Den bislang aufsehenerregendsten Coup bringt das noch frische Jahr 2022. Seit Mitte Januar ist Linn da Quebrada Teil der diesjährigen „Big Brother“-Ausgabe in Brasilien.
Wir dürfen gespannt sein, was als nächstes kommt. Die Grammys oder gar Oscars? Auf jeden Fall gehört Linn da Quebrada nicht nur auf die Bühne, sondern mit erhobener Faust auch auf alle roten Teppiche dieser Welt.
gpgbgo