Enttäuschungen. Sexuelle Gewalt. Traumata. Wut. Aber auch Emanzipation, ein neues Abenteuer. Worte, mit denen Lyna Mahyem ihr neues Album „Femme Forte” beschreibt. Themen, über die zu wenig gesprochen wird. Songs über Freunde, Familie und die Liebe. Erfahrungen, die nicht nur die Rapperin machen musste. Auch ihre Fans haben auf diesem Album eine Stimme gefunden.
Nach drei Jahren der Produktion hat ihr Album „endlich das Licht der Welt erblickt”. Im Interview mit RIFFX, einer französischen Musikplattform, erzählt die 26-Jährige, was ihr besonders wichtig war: „Ich habe versucht, etwas zu machen, das jeden ansprechen würde. Es gibt Rap, es gibt Afro, es gibt Pop, es gibt Varieté, es gibt Balladen, es gibt Latino. Sehr bunt, sehr caliente”. Der Rapperin war wichtig, dass viele Farben, Sounds und Stilrichtungen zusammenkommen, sodass sich jeder in einem Teil der LP wiederkennt.
Angefangen zu singen hat die Rapperin schon als Kind, meistens auf Nachbarschaftsfesten oder kleineren Veranstaltungen. Aufgewachsen ist sie in Argenteuil, einer kleinen Gemeinde im Département Val-d’oise in der Region île-de-France, die somit zum Banlieue von Paris gehört. Im jungen Alter entwickelte sie auch ihre Liebe für das Theater, spielen konnte sie aber nur in ihrer Nachbarschaft oder auf Schulveranstaltungen, für richtige Kurse reichte das Geld nicht. Lyna Mahyem wurde in keine reiche Familie hineingeboren. Schon früh musste sie selbstständig werden, Mittagessen, Führerschein und Auto selbst finanzieren. Mit Gelegenheitsjobs wurde sie schnell unabhängig, damit sie ihre Eltern finanziell nicht belasten musste. In ihrer Heimat fühlt sie sich aber immer noch wohl: „Ich brauche diesen Bezugspunkt auch heute noch, um mich „normal“ zu fühlen, Argenteuil bleibt immer mein Kokon”, erklärt sie im Interview mit Le Figaro.
Mit 15 Jahren begann sie, ihre ersten Cover aufzunehmen und veröffentlichte diese auf YouTube und Facebook. 2016 ging daraufhin alles ganz schnell: Das Label Def Jam recordings France wurde auf einen ihrer Songs aufmerksam und nahm sie unter Vertrag. Ihr Cover von Boobas „92i Veyron” wurde mittlerweile mehr als 54 Millionen mal auf YouTube geklickt – dieser Track war ihr Durchbruch. „Ich habe das Ausmaß der Sache nicht sofort verstanden. Es ging alles sehr schnell und ich habe nicht damit gerechnet”, reflektiert die Sängerin heute.
Ein Jahr später folgte ihr vermeintlich erstes Album „LM”. Rückblickend bezeichnet Lyna Mahyem dieses jedoch anders: „Es ist ein Projekt, das vertuscht und überhaupt nicht gefördert wurde. Es ist ein Teil meiner Karriere und ich bin stolz darauf, aber ich betrachte es als eine „Playlist“ und nicht als ein Album”. Die Künstlerin hatte gerade aufgehört zu studieren und zu arbeiten. Obwohl sie sich danach voll auf die Musik und das Schreiben konzentrieren wollte, wurden ihr in dieser Zeit viele Leute zur Seite gestellt. Im neuen Album „Femme Forte” liege nun ihre gesamte Persönlichkeit, sie bezeichnet es als ihr „erstes Baby”. Es beschreibt den Beginn eines neuen Abenteuers für die Künstlerin.
Der Titel des Albums spielt auf die Entschlossenheit und Beharrlichkeit der jungen Frau an, die seit dem Beginn ihrer Karriere viele Hindernisse bewältigen musste. Eine „Femme Forte” bedeutet für sie deshalb, eine Frau zu sein, die nie aufgibt. „À qui la faute?” sei der persönlichste Song der LP, darin thematisiert sie die komplizierte Beziehung zu ihrem Vater und dessen Verlust. Das Album bezieht sich aber nicht nur auf eigene Erfahrungen der Künstlerin, sondern auch auf Erlebnisse ihres Umfelds und ihrer Fans.
In „Juste” singt sie ein Lied von Enttäuschungen in Freunden, der Familie und der Liebe. Hierzu hat sie ihre Fans auf sozialen Netzwerken gebeten, ihr Geschichten zu erzählen, um daraus einen gemeinsamen Song zu machen. Drei ganze Tage lang habe die Sängerin damit verbracht, die vielen Botschaften zu lesen.
Ils m’ont laissée seule, ils m’ont laissée seule // Sie haben mich allein gelassen, sie haben mich allein gelassen
Lyrics aus dem Song „Juste“
Je voulais juste une sœur, juste des vrais potes // Ich wollte nur eine Schwester, nur echte Freunde
Juste un homme qui m’aime // Nur einen Mann, der mich liebt
Im Song „Purple” geht die Rapperin noch einen Schritt weiter, spricht über Mobbing, Vergewaltigung und Traumata. Ihrer Meinung nach Themen, über die nicht genug gesprochen wird: „Ich wurde mit Zeugnissen von Menschen aus meinem Umfeld gefüttert, die diese abscheulichen Taten erlitten haben. Es war notwendig, meinen Ruhm in den Dienst dieser Menschen zu stellen, um diese Botschaft zu teilen, damit sie sich unterstützt und gehört fühlen”, erzählt die junge Frau. Laut Le Figaro haben allein im Jahr 2019 mehr als 700.000 Menschen auf der ganzen Welt Taten der Gewalt erlitten – Männer gleichermaßen wie Frauen. In ihrer Arbeit und ihrer Musik äußere sich die Künstlerin gerne zu solchen Themen. Sie möchte den Menschen helfen, dabei jedoch kein Aushängeschild werden. In Verbänden oder der Politik engagiere sie sich deshalb nicht.
In ihrem letzten Song des Albums, „Outro”, lässt Lyna Mahyem ihre Karriere Revue passieren: „Dieser Track war therapeutisch für mich. Er fasst ein wenig die Fallstricke zusammen, die mir auf meiner Reise begegnet sind. Ich musste vor allem mein Herz leeren.”. Außerdem wollte sie ihren Fans und den Menschen um sie herum danken, die sie auf diesem Weg unterstützt haben. Als sie richtig mit der Musik anfing, war sie 19 Jahre alt. RIFFX erklärt sie, sie habe in dieser Zeit viel gelernt, sei reifer geworden – ändern würde sie aber nichts: „Ich bin wirklich glücklich, das ist die Wahrheit. Es ist ein wahr gewordener Traum!”. Vor Kurzem veröffentlichte die Sängerin ihre neuste Single „Envoûté”, zusammen mit Imen Es und Mainy.