Klassisch lässt sich Lyne wohl nicht den fe:male MCs zuordnen, das möchte sie auch eigentlich gar nicht: „Meine Musik ist einfach durch viele verschiedene Musikgenres beeinflusst, die ich höre und liebe … Das ist mir wichtig in der Musik: Ich mache gerne einfach, worauf ich Bock habe und was mein Gefühl mir sagt, vielleicht ist das morgen auf einen klassischen HipHop-Beat oder übermorgen ein souliger, Ambience-Vibe oder ein Pop-Song. Hauptsache, ich fühl’s.“
Musikalisch beeinflusst ist Lyne von Billie Eilish, Lorde, Dodie Fan und BANKS. „Viele Songs von BANKS – wie „Goddess“ – beschreiben toxische Beziehungen oder das Gefühl, an einer Beziehung oder einem Menschen kaputtzugehen, besonders der Song „Change“ bewegt mich jedes Mal, wenn ich ihn höre, da er so passend ist … Aktuell ist meine favorit fe:male MC Ish, sie ist unglaublich talentiert und hat eine starke Persönlichkeit, die auf jeden Fall gehört werden sollte.“ Die Zusammenarbeit mit Ish für „Komm Nicht Runter“ kam so: „Felix, der ‚Noch Einen Schluck‘ gemastert hat, zeigte ihr den Song, worauf sie mir bei Instagram schrieb, dass sie meine Stimme feiert und sehr gerne auch einen Song mit mir machen möchte. Ich kannte sie damals nur aus der Serie Druck (die ich ultra feiere) und war super happy. Kurze Zeit später lernte ich sie auch persönlich kennen, da sie eine Freundin meines jetzigen Partners ist … ‚Noch Einen Schluck‘ ist tatsächlich im Urlaub bei einem Glas Wein entstanden. Ich hatte mir in dem Urlaub vorgenommen, Songs zu schreiben, aber war noch nicht so geübt darin, da ich eigentlich eher immer auf Englisch geschrieben habe. Manchmal hilft ein Glas Wein, sich ein bisschen locker zu machen und dann kam mir die Idee zu dem Song. Auch wenn der Song über ‚Suizidgedanken‘ geht, ist er paradoxerweise ein Song der superlocker und gechillt ist und wozu ich auch das meiste positive Feedback bekommen habe. Auch möchte ich gerne in meinen Songs viele psychische Aspekte miteinbringen, da ich finde, dass noch viel mehr über psychische Krankheiten gesprochen werden sollte und alles mehr und mehr enttabuisiert wird.“
War schon immer verloren, ich schweb durch Raum und Zeit“
(Noch Ein Schluck)
Musik zu machen hat für Lyne daher auch eine therapeutische Komponente: „Musik ist für mich ein Ventil, mit vielen Dingen in meinem Leben umzugehen, mich auszudrücken wenn ich es auf normalem Wege vielleicht nicht schaffe. Mir Dinge bewusst zu machen und Gefühlen freien Lauf zu lassen. Ich kann mich durch Musik nochmal ganz anders mit mir auseinanderzusetzen. Dadurch habe ich angefangen, mich wirklich zu spüren und einfach ich zu sein. Und auch Rückmeldungen von anderen zu bekommen, die sich mit meiner Musik identifizieren können, gibt mir echt viel … Musik verbindet und erzählt uns Geschichten, in denen wir uns wiederfinden können, und das gibt uns eben das Gefühl, nicht alleine zu sein. Das ist für mich schon ziemlich wichtig im Leben. Auch das ’sich ausdrücken‘ und dadurch gewisse Dinge, in denen man für sich selbst vielleicht keinen Sinn sehen kann oder nicht mit fertig wird. Das kann bei irgendwem, der die Musik hört, etwas Großes bewegen. Ich habe schon früher als Kind gerne Musik gehört, in meinem Kopf lief dann ein Film ab, in dem ich oft in einer ganz anderen Welt war. Musik kann für andere motivierend sein oder ein Ventil, Gefühle rauszulassen. Ich finde das wunderschön.“
Lyne arbeitet eng mit dem Producer Carlos Ricaurte zusammen: „Meist nehme ich bei mir zu Hause am Laptop die Songideen vorher auf, da ich mir da auch ein kleines Homestudio hergerichtet habe. Dann hören wir uns später im Studio zusammen die Songs an und gucken, was man aus den Ideen machen kann. Carlos ist ein krass musikalischer Mensch, er selbst hat auch eigene Songs und schon mit vielen Künstlern zusammengearbeitet. Er hat ein breit gefächertes Musik-Know-How und immer gute Ideen, spielt unglaublich gut Bass sowie andere Instrumente, was natürlich sehr hilfreich ist. Bei ‚Kalte Fliesen‘ war es zum Beispiel so, dass er die Gitarre eingespielt hatte und das eine besondere Bedeutung für ihn hatte, da es diesen spanischen, romantischen, theatralischen Vibe hatte und er in seiner Heimat mit dieser Musik aufgewachsen ist. Oft geht es in spanischen Songs um dramatische Lieben, deshalb hat dieser Vibe so gut gepasst zu ‚Kalte Fliesen‘. Das hat sich gut ergänzt.“
„Kalte Fliesen“ bezieht sich auf Lynes letzte längere Beziehung, in der sie narzisstischen Missbrauch erfahren hat. „Die Beziehung war extrem toxisch und hat mir sehr geschadet, ich hatte mich total verloren, zu der Zeit, und war mit einem Menschen zusammen, der es nicht gut mit mir gemeint und mir mein ganzes Selbstwertgefühl genommen hat. Von Gaslighting, emotionaler Erpressung und Entwertungen bis hin zu Drohungen und Isolation war eigentlich alles dabei, wodurch ich mich wirklich fast aufgegeben hatte. Ich dachte irgendwann wirklich, dass ich ein schlechter Mensch bin und nichts Gutes verdiene, da mir das oft von meinem Partner eingeredet wurde oder es in meinem Kopf keine andere Erklärung mehr dafür gab, so behandelt zu werden. Es hat mich sehr viel Kraft gekostet, diesen Menschen doch letztendlich zu verlassen und jeglichen Kontakt bis heute abzublocken.“
„Heal“ von Tom Odell ist ihr all time favorite song: „Ich kenne den Song schon sehr lange, habe ihn aber tatsächlich neu für mich entdeckt, nach der Trennung von meinem toxischen Ex. Mir ging es lange Zeit danach noch schlecht, hatte ein paar kurze gescheiterte Beziehungsversuche hinter mir und oft das Gefühl, nicht wirklich heilen zu können. Ich habe mich hilflos gefühlt, mich gefühlt, als würde ich nur umherirren. Der Song beschreibt diesen Zustand für mich sehr sehr gut.“
Aktuell zeigt sich die Künstlerin sehr züüüüss verliebt. „Nach langer langer Zeit habe ich jemanden gefunden, den ich wieder an mich ranlassen kann und dem ich wirklich mein Innerstes offenbaren kann. Diese Erfahrung zu machen und langsam wieder vertrauen zu können, ist unglaublich wertvoll für mich und meinen Heilungsprozess. Man muss sozusagen neu lernen oder umlernen, wie sich richtige Liebe anfühlt, und ich bin froh, jemanden zu haben, der mir so eine große Stütze ist, viel Geduld und Verständnis aufbringt … Es fällt mir immer noch nicht leicht, über dieses Thema zu sprechen, und oft triggert es mich noch extrem, aber ich wollte diesen Song machen, da es so viele Menschen gibt, die leider das gleiche erleiden mussten. Ich wollte mit dem Song auch zeigen, dass man nicht alleine ist und dass man es auch da raus schaffen kann. Es ist total wichtig, sich an seine Freunde und Familie zu halten, weil diese oft einen besseren Blick von außen haben, für Menschen, die einem offensichtlich nicht gut tun, auch wenn man sich in so einer Beziehung sehr ‚gefangen‘ fühlt und seiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr traut. Wichtig ist, sich nicht die Schuld zu geben. Es ist unfair, dass man so etwas erleiden musste, und es braucht ganz viel Kraft, diese Dinge aufzuarbeiten, aber mir hat es unglaublich geholfen, darüber zu reden, mich mit anderen Menschen auszutauschen und auch mir therapeutische Hilfe zu nehmen. Und natürlich, mich auch über die Musik auszudrücken.“
Von der 26-jährigen Solingerin ist bald eine EP zu erwarten: große Vorfreude jetzt schon!