Neben guter Musik bringt die brasilianische Sängerin und Performerin MC Carol eine ganze Bandbreite an Gründen mit, sie zu lieben: Ihre Songs sind intersektional feministisch, sexpositiv sowie gesellschafts- und geschichtskritisch. Als Favelada (eine Frau aus den Favelas von Rio de Janeiro) führt sie die Tradition des Baile Funks mit ihrer aktivistischen Haltung fort.
Carolina de Oliveira Lourenço kommt 1993 in Niterói, Rio de Janeiro zur Welt und wächst in den Favelas der Stadt auf. Ihr Weg zur Musik liest sich als eine Geschichte, in der sie die Karriere als Musikerin ihrer kämpferischen Natur und expressiven Wut zu verdanken hat: Nachdem sie als junge Frau Catcalling durch einen ihr fremden Taxifahrer erlebt, grübelt sie im Nachhinein lange für einen treffenden Konter. Ein paar Tage später trifft sie auf denselben Mann mit gleichem Spruch und hat die perfekte Verteidigung auf der Zunge liegen. Freund:innen feiern Carolinas Mut und Wortwitz und animieren sie dazu, die Erfahrung in einem Song zu verarbeiten. Eine Woche später steht sie auf einer Party in ihrer Nachbarschaft auf der Bühne und performt ihren ersten Song. Aus Carolina de Oliveira Lourenço entsteht MC Carol. Seitdem findet man sie jede Woche auf irgendeiner Bühne, auf der sie sich eine treue Fanbase aufbaut.
Baile Funk oder Favela Funk in Brasilien hat einen ähnlichen Hintergrund wie Rap in den USA: In den 1970ern prägen marginalisierte und Schwarze Musiker:innen das Genre – Frauen gleichermaßen wie Männer. Es verwundert also nicht, dass MC Carol das Genre gemäß seiner Tradition als empowerndes und gesellschaftskritisches Sprachrohr nutzt. Als Schwarze, mehrgewichtige Frau und Favelada spricht sie offen über Gewalt an Frauen, Femizide, Sexismus und Rassismus sowie auch explizit über Sex und was ihr daran gefällt.
2012 erscheint ihr Song „Meu namorado é o maior otário“ (dt. „Mein Freund ist der größte Trottel“, welcher durch eine Umkehr von Beziehungsdynamiken auf Gewalt in romantischen Partnerschaften aufmerksam macht. In dem 2018 veröffentlichen Song „Mulher de Négocios“ (dt. „Geschäftsfrau) singt sie über die Ermordung der lesbischen Politikerin Marielle Franco, welche ihr Leben bei einem Anschlag verlor. Auf „Nâo foi o Cabral“ (dt. „Es war nicht Cabral“) wiederum kritisiert MC Carol die rassistische Geschichtsschreibung im Schulunterricht, welche behauptet, dass ein Portugiese Brasilien ‚entdeckt‘ habe. So setzt sich die junge Künstlerin immer wieder mit klaffenden Wunden der Gesellschaft auseinander und scheut nicht davor zurück, über unbequeme Themen zu sprechen.
Generell fällt es MC Carol nicht schwer unbequem zu sein: Ihren großen Durchbruch feiert sie mit der Teilnahme an der Realityshow „Lucky Ladies“, in der sie neben vier anderen Funk-Sängerinnen für zwei Monate in einer Luxuswohnung lebte und dort zur erfolgreichen Funkeira gemacht werden sollte. Von Diätplänen und Tanztraining hält MC Carol jedoch nicht viel und verdankt ihrer konstanten Antihaltung viel Aufmerksamkeit – die sich leider auch oft in Hasskommentaren äußert. Das scheint sie allerdings nicht zu jucken. Warum auch? MC Carol erobert große Bühnen, fährt millionenfache Streams ein und hat eine treue Community um sich herum. Auch in der Musik braucht es Menschen wie sie, die für Repräsentation sorgen und kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn es schwierig wird.