Im ersten Moment mag man mit den Augen rollen: Eine Musikerin mit Maske wirkt 2022 eher ausgelutscht. Bis die Londonerin Midas the Jagaban anfängt, über die Gründe ihrer Vermummung zu reden. Die aufstrebende Afrobeat-Künstlerin nennt in einem Interview mit Highsnobiety nämlich gleich eine Reihe von nachvollziehbaren Motiven: Zum einen ist ihr Balaclava eine Reaktion auf die fortschreitende Einschränkung der Privatsphären und somit ein soziales Statement. Andererseits soll es sie auch vor den Erwartungshaltungen der nimmersatten Musikindustrie schützen, die viel von Personen fordert – „besonders von jungen, Schwarzen Frauen”, wie sie sagt. Und zu guter Letzt ist die Maskierung auch eine moderne Weiterführung der Yoruba-Kultur, mit der die Tochter nigerianischer Eltern eng verbandelt ist. Dort steht die Maske stellvertretend für die Vorfahren und wer sie aufsetzt, stellt eine Verbindung zwischen spiritueller und physischer Welt her. So ist die Maske für sie auch eine Möglichkeit, verschiedene Persönlichkeiten zu manifestieren.
Doch auch wenn Midas the Jagaban sich gerne als Kämpferin inszeniert („Jagaban“ ist ebenfalls aus der Yoruba-Kultur entliehen und heißt so viel wie „Anführerin der Krieger“), ist ihre Musik eine warme, einladende Angelegenheit. Die tanzbaren Stücke öffnen die Tür zu einer Party, auf der sich alles bewegt und eine ausgelassene Stimmung herrscht. Ihren größten Erfolg kann sie mit der Single „Party With A Jagaban“ feiern, die bei TikTok und Spotify durch die Decke geht. Aber auch alle anderen Songs seit ihrer 2020er Debüt-EP „Midas Touch“ haben das, was man einfach als „Vibe“ beschreiben kann. Und auch auf einer Reihe von Features mit beispielsweise Stefflon Don hinterlässt sie bleibenden Eindruck.
Wie sie ebenfalls im Interview mit Highsnobiety erzählt, stellte Musik einen wichtigen Faktor für die eigene Distinktion auf einer überwiegend weißen Schule dar. In der nigerianischen Community fand sie Menschen, die ihr ähnlich waren und die über Rhythmen und Melodien eine Verbindung feierten. In diesem Umfeld fing sie auch an, über Beats zu freestylen und aus Quatsch Bars zu schreiben. Ebenfalls einen Anteil an dem musikalischen Werdegang hatte Midas’ Mutter, die ihr die Musik des legendären Yinka Ayefele näherbrachte. Damit stieß sie mehr oder weniger unbewusst die Tür für den Afrobeat-Veteranen Lagbaja auf, dessen auffällige Masken eine große Faszination auf die junge Midas ausübten.
Wie stark die Bindung zur Kultur der Yoruba für Midas the Jagaban ist, sieht man auch an ihrem Auftritt beim Homecoming-Festival, das von Nigeria aus als Austauschmöglichkeit für Kultur und Kreativität dienen soll und auf dem eine aufregende Künstlerin wie sie perfekt aufgehoben ist. Ihre „Good vibes only“-Songs stellen das beste Beispiel für Musik dar, die kollektiv erlebt werden will, egal ob live oder auf Partys. Wenn sie dann einheizt, kann man nur hoffen, dass ihre Balaclava einigermaßen luftdurchlässig ist. Denn bei so viel Feuer könnte es darunter verdammt heiß werden.