Miss Red, eine in Berlin lebende jüdische MC, macht Dancehall in jamaikanischem Patois. Ihr Vater stammt aus Polen und ihre Mutter ist Marokkanerin. Von ihrer Heimat Israel habe sie sich inzwischen etwas entfremdet, sagt sie. Mit Schaudern erzählt sie von ihrer Zeit beim Militär – in Israel müssen auch Frauen einen zweijährigen Wehrdienst leisten – wo sie in einem Chor landete. Es muss schrecklich gewesen sein, ihre Nummer „Diss Mi Army“ sei eine Art Abrechnung mit „der beschissenen Armee“. In ihrer Zeit dort habe sie sich „eigentlich jeden Abend betrunken“. Später habe ihre Aufgabe darin bestanden, Holocaust-Überlebenden Dankeskarten zu überreichen. „Es gab kein Geld, aber diese Karten, es war einfach nur würdelos“, erzählt sie.
Ihr Handwerk lernt Miss Red in den mittelgroßen und mit überdimensionierten Soundsystemen ausstaffierten Clubs von London, den USA, Russland und Brasilien. Mit herausfordernden Versen und provokanten Punchlines zu hantieren, liegt ihr dabei von Beginn an im Blut, geht zugleich aber auch stark auf die Inspiration durch Haifas 80er-Dancehall-Crew Easy Riders zurück. Beeinflusst zeigt sich die Künstlerin von M.I.A., Sister Nancy, Lady P, Lady Saw und Lady Ann.
Die international tätige MC, ihr bürgerlicher Name lautet Sharon Stern, ergriff ihre Chance eifrig, als ihr The Bug auf die Schulter klopfte und höflich darum bat, während des Improvisationssets des Londoner DJs in Jaffa im Sommer 2012 das Mikrofon zu ergreifen. Am Morgen nach dieser Show buchte The Bug alias Kevin Martin sofort ein Studio in Tel Aviv, und Red Gyal nahm „Diss Mi Army“ in ihrer ersten Pro-Studio-Session auf. Anschließend avancierte sie zu einem festen Bestandteil der angesagten Live-Shows von The Bug und konnte in kurzer Zeit neben den MCs Flowdan, Riko Dan, Daddy Freddy und Killa P. auf vielen renommierten Festivals auf der Bühne mitmischen.
Die musikalische Initialzündung lieferte ihr in Eigenregie veröffentlichtes Mixtape „Murder“ im Dezember 2015. 2018 erschien ihr Debütalbum „K.O.“ Damit machte sie sich einen Namen als Königin des futuristischen Dancehalls. Steht Miss Red also für eine alternative Zukunft von Dancehall und Ragga abseits des Mainstreams? Die Vorzeichen darauf könnten zumindest kaum deutlicher ausfallen.