Wir sollten langsam echt damit aufhören, Miz als „rising star“ zu titulieren. Seit mindestens zehn Jahren geht das jetzt schon so. Vielleicht liegt es am un-google-baren Künstlerinnennamen, vielleicht am Nischengenre Grime, in dem sie sich eingenistet hat. Viel mehr rationale Gründe dafür, dass diese Frau nicht längst als Star durchgeht, lassen sich kaum finden.
Miz ist eine Frau mit vielen Talenten, wie sie in diversen Kontexten unentwegt unter Beweis stellt. Sie schreibt für verschiedene Blogs und Magazine. Sie konzipiert und moderiert Radioshows und wirkt dabei, wenn sie Gäste und Hörer:innenschaft fröhlich über den Haufen quatscht, wie in ihrem absolut natürlichen Element. Vor allem aber spittet sie pures Feuer, sobald sie ein Mic in die Finger bekommt.
Das Faible für Rhymes und Beats bricht sich schon früh Bahn. Geboren und aufgewachsen in Herts, Herfordshire, einer Grafschaft im Norden Londons, schreibt Miz ihre ersten 16er mit gerade einmal neun Jahren. Mit zwölf ist sie schon Stammgast auf den Bühnen lokaler Jugendzentren und U18-Partys, zwei Jahre später steckt ihre Nase bereits tief in der Untergrund-Radio-Szene.
Miz moderiert unterschiedliche Formate, am ausdauerndsten die Fat Steve Show, die (wie das Format ihrer Kollegin Laughta) bei Reprezent Radio zu Hause ist. Hier serviert sie nicht nur eine treffsicher gepickte Trackauswahl, sondern plaudert auch gerne aus dem Nähkästchen. So erfahren wir zum Beispiel, dass Miz gar nicht immer straight in HipHop- und Grime-Gefilden unterwegs war: Eine ganze Folge lang spielt sie zum Beispiel ausschließlich Emo, Punk, Rock und Grunge zu Ehren ihres 13-jährigen Ichs, das auf derlei Sound einst voll abfuhr. Hinterher wissen wir mindestens zweierlei: Miz hatte früher einen Green Day-Klingelton, und sie könnte diese musikalische Schiene noch ewig weiterbedienen: „Ich hätte noch Banger für mehrere Tage, und nicht die, die ihr sonst überall hört“, erklärt sie. „Ich hab‘ einfach den besten Musikgeschmack, was soll ich sagen?“
Das klingt ausgesprochen selbstbewusst. Dass hinter dieser toughen Fassade aber eine äußerst zarte Seele wohnt, zeigt sich 2020. In einem halbstündigen Video führt Miz vor, wie sie sich für einen Auftritt zurechtmacht. „Wenn ich fertig bin, bin ich eine solide Sieben“, verspricht sie. Was eigentlich nach keiner besonders großen Sache klingt, lässt dann aber doch faszinierend tief blicken. Miz spricht offen aus, wie schwer es ihr fällt, sich ungeschminkt, ohne Maske zu zeigen. „Normalerweise donnere ich mich sogar für einen Radioauftritt total auf, obwohl man mich dabei gar nicht sieht“, erzählt sie. „Ich sollte damit zufrieden sein, wie ich aussehe. Manchmal aber hasse ich mein Gesicht, und das sollte ich nicht. Es ist ja das einzige, das ich habe.“
Während Miz vor der Kamera mit Hautunreinheiten, ihren dünnen Augenbrauen und ihrem Teint hadert, mit ihren billigen Kosmetikprodukten („Ich bin arm, etwas besseres kann ich mir nicht leisten“) und mit ihren beschränkten Fähigkeiten ringt („Wie machen die anderen das nur? Ich bin einfach kein Makeup-Artist, ich bin ja noch nicht einmal eine verdammte YouTuberin, mir ist bloß langweilig!“), erweist sie, wahrscheinlich ohne es direkt beabsichtigt zu haben, vielen unter ihren Zuschauer:innen einen riesigen Dienst. Sie offenbart nämlich: Auch andere kochen nur mit Wasser. Auch andere müssen aus mittelmäßigem Material irgendwie das Beste herausholen. Nicht jeder:m fällt die Selbstliebe einfach so in den Schoß. Es lohnt sich aber, sich darum zu bemühen. Auch für Miz hat es sich gelohnt, über ihren Schatten gesprungen zu sein: Nahbarer und sympathischer hätte sie sich kaum präsentieren können.
So zuckersüß und zerbrechlich, wie sie da auch wirkt: Sobald Miz aber ein Mic in der Hand hat, ist Schluss mit lustig. Im Kreise ihrer Crew-Kolleginnen der Female Allstars, allesamt höllisch gute MCs, darunter die hier erst kürzlich vorgestellten NyNy und Frankie StayWoke, wirkt Miz mit ihrer immer noch eine Spur harscheren, kantigeren, wie unmittelbar aus dem Herzen kommenden Delivery stets extra energiegeladen.
Als Teil eines Kollektivs fühlt sich Miz übrigens pudelwohl, wie sie gegenüber dem MixMag ausbreitet:
There are so many benefits! We’re a team, a support network, a group of individual artists all with a shared passion for grime music. We push each other to do better, recommend each other for opportunities and do everything we can to open doors for one another. We’re not just a crew, we’re a family.“
Miz bei MixMag
Die Familie erweist sich zudem als ziemlich produktiv: Dass sich die Veröffentlichung des Crew-Albums „To The World“ verzögert, liegt nicht an den Female Allstars, sondern an Problemen im Vertrieb. Wir dürfen also noch ein bisschen gespannt bleiben, was da kommt. Dafür, dass in der Wartezeit das Material nicht ausgeht, hat Miz bereits gesorgt. Allein im Jahr 2020 veröffentlichte sie unglaubliche fünf EPs.
Ihrem Genre stellt sie übrigens ein gutes Zeugnis aus:
Yeah grime right now is in a strange and wonderful place! We have new artists popping up all the time, gaining popularity through the adoption and re-invention of legendary flows, instrumentals and sounds: the genre has 100% found a new balance. Today, UK rap, drill and grime are all intertwined in one way or another to create futuristic sounds inspired by artists from all backgrounds and walks of life. In that way, I’d say that grime at the moment is in a fresh new era, one that is reinventing the nostalgia of the genre whilst still keeping its unique signifiers close to home.“
Miz bei MixMag
Wir dürfen also wohl recht gefahrlos darauf wetten, dass wir von dieser MC noch einiges zu hören bekommen werden. Dann hat es sich hoffentlich auch bald mit dem Gerede vom „rising star“. Miz ist ein Star, fertig, aus.