Irgendwo in den musikalischen Sphären von Noise, Punk und Rap formt die US-amerikanische Künstlerin Moor Mother (oder Moor Mother Goddess) ihre eindringlichen Gedanken zu experimentell-poetischen Zeilen. Mit ihrer tiefen, oft technisch verzerrten Stimme spricht sie die unangenehmen Wahrheiten eines postkolonialen US-Amerikas aus: Versklavung, Gewalt an Schwarzen Frauen, das Gefängnissystem, Polizeitgewalt, Klassismus und weitere Themen bringt sie mit eigenen Lyrics und Samples von Bürgerrechtsaktivist:innen und Opfern von Rassismus in ihren Songs auf den Punkt.
2016 veröffentlichte Camae Ayewa ihr Debütalbum „Fetish Bones“ über Don Giovanni Records und feierte damit ihren Karrieredurchbruch. Zahlreiche große Musikmagazine stellten sie vor und platzierten das Album auf diversen Siegertreppchen des Jahres. Dass es dazu kam, schien für Moor Mother jedoch nie eine Selbstverständlichkeit. Sie betont, dass auch der Zugang zur Musik ein Privileg darstelle, welches sie als Kind nie gehabt habe. „When would I ever see a drum kit? I didn’t know anyone who had one. I didn’t live near a store that sold them. But I had the stories, the rhythms, and that’s like so many people. We deem people who live in affordable houses to have no talents, but they’re ready to explode with creativity“, erzählt sie im Interview mit The Guardian. Zum Glück hat sie einen Weg gefunden, diese Geschichten und Sounds an die Öffentlichkeit zu bringen.
Zusammen mit Rebbeca Roe, die sie beim Freestylen auf einer Party kennenlernt, gründet Ayewa ihre erste Band Mighty Paradocs. Die anderen Bandmitglieder sammelten sie in den Straßen Philadelphias auf. Parallel dazu spielt sie außerdem in der Punkband Girld Dresse As Girls. Mit der Teilnahme an Open Mics und ersten LoFi-Produktionen fiel der Startschuss für ihre Solo-Karriere als Moor Mother. Seit „Fetish Bones“ veröffentlichte sie vier weitere musikalische Projekte, in denen die Genregrenzen immer weiter verblassen – Puzzlestücke aus Jazz, Rap, R&B, Noise und Punk ergeben kein klares Bild, dafür aber ein faszinierendes Mosaik ihrer Emotionen, ihrer Wut, ihres Protests.
Moor Mothers Aktivismus manifestiert sich jedoch nicht nur in ihrer Musik. Als Mitgründerin und Kuratorin des Rockers Phillys Projects stellt sie seit mehr als zehn Jahren ein Festival auf die Beine, das den Fokus auf marginalisierte Musiker:innen legt. Darüber hinaus bietet sie mit ihrem Kollektiv Black Quantum Futurism in Sozialwohnungsblocks von Philadelphia Kunst- und Schreibkurse an. Aufgrund ihrer eigenen Vergangenheit weiß Ayewa, dass das Internet allein ohne jegliche Zugänge oder Mittel nicht ausreicht, um eine Vernetzung im Underground zu garantieren: „It costs $100 a month to have the internet in America – it’s naive to think everyone can afford it. The underground is still the folk root of everything, and that’s thriving. But to get the message heard by the world … it’s like The Truman Show – we can’t break through the bubble”, heißt es im Interview mit The Guardian.
Als Sängerin wirkt Moor Mother in weiteren musikalischen Kollektiven wie Irreversible Entanglement, MoorJewerly und 700bliss mit und tourt auf Konzerten, Festivals, Ausstellungen, Filmfesten, in Museen und Galerien auf der ganzen Welt. Hoffentlich bringt sie auch bald wieder in Deutschland mit ihrer energetischen Performance die Bühne zum Beben, so wie sie auch schon das Berghain in Berlin auseinandernahm.