In eine ägyptische Familie hineingeboren und in West-Sydney aufgewachsen, erlebte Nardean seit ihrer frühen Kindheit einen regelrechten „Clash of Cultures“. Immerhin, so sagt sie, gab ihr das aber jede Menge Themen, über die sie schreiben konnte. Denn Nardean ist vor allem eines: Poetin. Und das merkt man spätestens dann, wenn man jede zweite ihrer Lines zitieren und über ein schönes Landschaftsbild gelegt auf Insta posten möchte.
Ihre Liebe zu Wörtern ließ die Rapperin Englische Literatur an der Universität studieren. Sie wollte Lehrerin werden – aber schmiss dann für Rap hin, als sie mit 22 Jahren zu rappen begann. Ihre Songs liefern „ernsthafte und emotionale Lyrik, eine ehrliche Art der Selbstreflexion, dazu empowernde Queen-Anthems und starke Mittelfinger-Banger“, wie es bei triplejunearthed.com ziemlich treffend beschrieben wird. Sie selbst bezeichnet ihre Musik als PostHop. Der Fokus liegt dabei auf ihren Texten, denn wie gesagt: Mit dem Dichten nahm alles seinen Anfang.
Nardean ist zwar stark von HipHop geprägt, aber ihr Stilmix aus Rap, Gesang und Poesie und die musikalische Mischung aus Neo-Soul, Elektronik, Glitch und R&B sind durchaus unkonventionell und brachten ihr schnell eine gewisse Bekanntheit in der australischen Musik- und HipHop-Szene ein, wo sie mittlerweile als das „Next big thing“ gehandelt wird. Ihr erstes Album Creatress releaste sie im Jahr 2018 und bekam direkt einige Beachtung von der landesweiten Musikwelt. Anfang Mai 2020 schließlich erschien ihre EP The New Era.
Häufig befasst Nardean sich in ihren Texten mit ihren arabischen Wurzeln, die in starkem Kontrast zu ihrem Aufwachsen in Australien und ihren Erfahrungen als Woman of Color stehen. Als „Immigranten-Kind“, und Mädchen noch dazu, dem offenbar mehr als einmal erzählt wurde, Mädchen würden „so etwas“ nicht tun oder nicht „könnten“ (Musikvideo zu Aux cord) reflektiert sie ihre Erfahrungen des Frau-Seins, eigene Traumata und ihr Aufwachsen als Frau in einer Familie aus dem „Westen“ (der von Europa aus der Mittlere Osten ist).
Damit will sie insbesondere den Mädchen und Frauen ein Vorbild sein, die ebenso aufgewachsen sind, sagt sie: „Wo ich aufgewachsen bin, war niemand, der Musik gemacht hat. Schon gar keine ägyptische Frau. Ich möchte diese Frau sein, zu der junge Mädchen aus multikulturellen Hintergründen aufschauen und mit der sie sich identifizieren können. Ich möchte, dass sie wissen, dass sie das auch können!“
fitting all the stereotypes, arab girl / family tried to bury her life […]
Habibti we came here to give you a good life / stop chasing you dream and be somebodys good wife
Aux cord
Natürlich kann man aus den oben genannten Ratschlägen aus der Kindheit nur als perfekte Hausfrau für einen Mann hervorgehen – oder als selbstbewusste Feministin, die sich keinen Scheiß darüber erzählen lässt, was sie zu tun und zu lassen hat. Eine adäquate Antwort liefert sie in den nächsten Zeilen: „Fuck. That. Shit.“ (Repeat.)
Ihre Kritik an kulturellen Mechanismen der arabischen Welt, mit denen sie aufwuchs, heißt aber nicht, dass sie nicht auch stolz auf ihre Roots ist. Stattdessen gibt sie Shoutouts an den Mittleren Osten (beispielsweise in Juicy) und bedient sich nicht selten einer stark arabisch und ägyptisch geprägten Metaphorik. Auf Aux cord webt sie sogar einige arabische Passagen in ihre Texte ein.
Nardean ist all about empowering, und zwar nicht nur sich selbst, sondern findet auch für andere Frauen die richtigen Worte. Das gelingt ihr vor allem durch ihre eigene Selbstreflexion. Dazu hat sie ein warme Persönlichkeit, die in ihren Songs regelmäßig durchschimmert. Nicht nur ihre stimmliche Präsenz, auch das immer wieder eingewobene Lachen oder Outtakes verleihen ihr eine wahnsinnig angenehme Nahbarkeit ohne Attitüde.
Sie verwebt gut gewählte und wahre Worte, persönliche Anekdoten und ihre tiefe Verankerung sowohl in der arabischen als auch in der westlichen Kultur, ohne dass es konstruiert wirkt. Sie vermag es, diese beiden Welten zu einer dritten zu verbinden, in der jede:r einfach so sein kann, wie er:sie sein will. Antike Sagenfiguren treffen auf die moderne Welt, ägyptische Gött:innen auf ihre eigene Geschichte und Nardean steht mittendrin und schafft eine faszinierend neuartige Mischung aus Spiritualität, Esoterik und Selbstreflexion. Noch dazu ist sie eine ziemlich versierte Storytellerin.
Those hardened and harrowed / Who bargained and narrowed
My greatness and hollowed / My heart out and followed
The bullshit they swallowed / Made up of the lies
That they borrowed then burrowed […]
I was written in history by the victors / egos rubbed like blisters
The monsters mistaken as misters / mistook me for a mistress
Adamantium
Und dann sind da Tracks wie Creatress, in denen sie vor allem beweist, wie wahnsinnig dope sie reimen, wie intensiv sie ihre Stimme in Spoken-Word-Passagen einsetzen kann und wie gut Rap neben spirituellen und sphärischen Einflüsse stehen kann. Tief verwurzelt in ihrer Spiritualität klingt ihre Delivery beinah wie zeremonielle Beschwörungen, ohne dabei unangenehm, preachy oder peinlich zu wirken.
Für Nardean ist Musik eh eine sehr spirituelle Erfahrung, weil sie Energien wie Emotionen oder persönliche Erfahrungen mithilfe physischer Komponenten wie etwa Instrumenten wiederum in Energie umwandelt. Dass man sie nicht sehen könne, genau das mache ihren Effekt wahrscheinlich so magnetisierend und mystisch. Für die Rapperin sei es einfach unglaublich, dass die Gefühle und Ideen in Songs so real und gleichzeitig nicht greifbar sind.
Nardean liebt aber nicht nur das Dichten, sie liebt auch das Performen. „Weil ich euch dann in die Augen sehen kann, und das machen wir als Menschen nicht mehr genug!“, begründet sie. Ihre Lust am Performen sieht man ihren Videos an. In ihnen präsentiert sie sich mal sexy und top gestylt und dann wieder nerdy als Harry Potter – Nardean hat eben jede Menge Facetten: „Queen, Goddess, Boss, Witch“ (Q/G/B/W) sein.