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Nehanda

Nehanda

Die Wut, die aus toxischen Beziehungen entsteht, in etwas Aufbauendes umwandeln? Das hat sich die Künstlerin Nehanda (bürgerlich: Nehanda Ferguson) zur Aufgabe gemacht. In ihrem Debüt „33 Ways to Assassinate Your Character“ (2019) rechnet sie mit einem Ex-Freund ab, dessen Verhalten sie dazu bewegte, mit dem Rappen anzufangen. An jenem Punkt in ihrem Leben kamen mehrere Dinge zusammen: Ihre Mutter war krank, ihr selbst ging es nicht gut, sodass sie eines Nachts das Licht anknipste, Zettel und Stift in die Hand nahm und drauflos schrieb.

Auf „Too Strong“ (2020) zeigt Nehanda viele Emotionen und erzählt aus ihrer Kindheit:

Maybe it’s ‘cause my dad was always fucking drinking, or maybe it’s ‘cause half my life my mum was missing.“

Lyrics aus „Too Strong“

In einem Interview mit earGROUND radio Zimbabwe gibt die Musikerin mehr Hintergrundinformationen dazu preis: Ihr Vater wuchs als adoptiertes Kind in Schottland auf, fühlte sich dort als Schwarze Person unwohl und zog nach Birmingham. Er gab seiner Tochter den afrikanischen Vornamen, nach Nehanda Charwe Nyakasikana, einem spirituellen Medium der Shona. Ende der 1980er Jahre kämpfte sie als eine der Anführerinnen der Revolte (Chimurenga) gegen die Kolonisierung Simbabwes durch die britische Südafrika-Kompanie. Das Vermächtnis des Mediums Nehanda wird bis heute in Simbabwe mit Widerstand verbunden. Im Interview sagt die Newcomerin, ihr Vater bedeute für sie eine große musikalische Inspiration, da er seinen Töchtern viel auf der Gitarre vorspielte.

Die britische Stadt Birmingham besitzt eine große Rapszene, geprägt von The Streets und Mike Skinner, charakteristisch für Brum Rap und ein einflussreicher Ort für Grime. In den letzten Jahren haben sich immer mehr weibliche HipHop Acts aus Birmingham einen Namen gemacht, allen voran Lady Leshurr. So versucht auch Nehanda, in der Szene Fuß zu fassen. Nachdem sie sich 2018 einen Lautsprecher und ein Mikro kaufte, begann sie, als Straßenmusikerin Songs zu covern und auf YouTube hochzuladen.

2019 nahm sie an dem all-female Posse Cut „The Switch Up“ des Kollektivs Female Allstars teil, was ihr half, sich in der Szene zu vernetzen. Zuletzt featureten sie die UK-DJs und -Produzenten Hybrid Theory.

Ihre Stimme setzt Nehanda auch gesanglich ein. Neben einigen Cover-Songs veröffentlichte sie unter anderem den Song „Butterflies“ (2020). Bilder, die sicherlich viele Zuhörende nachempfinden können, transportieren Gefühle der Trauer: „I see you in the butterflies, in the trees, I see you in the sunshine, I see you in me. Da sie unterschiedliche Stile bedient, lässt sich Nehanda zwar nicht in ein konkretes Genre  einordnen, ihre Stärke liegt für mich aber im UK Rap und Grime.

Beim Format BL@CKBOX, das aufstrebende Untergrund-Künstler:innen aus dem Vereinigten Königreich fördert, performte Nehanda 2019 live im Studio. In ihrem Female Takeover liefert sie für eine Anfängerin starke Reime und Technik ab. Sie haut eine Punchline nach der anderen raus und bleibt von Anfang bis Ende souverän.

We’re tired of your bullshit, fed up
Gonna take the game all dressed in leather
Keep up with your whatsever-however-whenever-forever-shit
‘cause you think you’re special
Girls out here, cut hearts so deep
just spit a few bars and they leave in a stretcher
many girls, too many, many girls
I’m the one over here with the vibes and the curls“
(…)
„Now you think you got the power to deny me
I’m like ten men, you still wanna fight me?“

Noch mehr solcher Bars finden wir bei einer Live-Show von PyroRadio mit DJ Tino, MC Lady Shocker und MC Frankie Staywoke. Es lohnt sich, auch für die Skills der anderen reinzuhören.

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Ein Jahr danach stellte MRG Media, eine ähnliche Plattform wie BL@CKBOX, Nehanda in einem Freestyle-Format vor. Auf dem Instrumental Intro von The xx harmoniert ihr grober Rap weniger gut als auf harten Beats. 

TW Transfeindlichkeit

In einem offenen Brief an „liberal feminists“ auf ihrer Webseite schreibt Nehanda über ihren persönlichen Bezug und ihre Meinung zu Feminismus. Unter anderem kritisiert sie den „Beyoncé-Feminismus“, den Vermarktung, Norm-Attraktivität sowie eine Machtstellung als reiche Frau auszeichnen. Ihre Ausführungen beinhalten dabei wichtige Kritikpunkte an patriarchalen Strukturen und kapitalistischen Mechanismen. Jedoch geht die Künstlerin weiter auf den Begriff Feminismus ein, der ihrer Ansicht nach verhindere, sich auf die sehr realen Probleme zu konzentrieren, mit denen sehr reale Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt konfrontiert seien. Die hier indirekt lesbare Transfeindlichkeit wird im Weiteren offensichtlicher: Sie bezeichnet Geschlechtsangleichungen als „social and medical experiments“ und setzt dem gegenüber die schrecklichen Praktiken des Brustbügelns und der Genitalverstümmelung. Das eine hat mit dem anderen jedoch nichts zu tun. Es sind Argumentationen, die davon ablenken sollen, dass sie trans Menschen ihre Existenz absprechen.

Darüber hinaus widmet Nehanda ihren Song „I Am Woman“ der „Harry Potter„-Autorin J.K. Rowling, nachdem diese für ihre transfeindlichen Aussagen in der breiten Öffentlichkeit kritisiert wurde. Hinter dem Track, der Frauen stärken soll, versteckt sich also ein trans-exklusiver Feminismus. Diese Form des Feminismus vertritt die Ansicht, dass nur cis Frauen, also solche, die sich ihrem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen, echte Frauen seien und zusammenhalten sollten, und schließt damit trans Frauen aus. Die Ansicht, es gebe nur zwei feststehende biologische Geschlechter, ist noch weit verbreitet, obwohl sie wissenschaftlich längst vielfach widerlegt wurde.

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