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Nina MC

Nina MC

Ich will ehrlich sein: Seit 365 Female* MCs gestartet ist, habe ich auf diesen Moment gewartet. Ein Portrait über Nina MC, die vielleicht mein erster, ernstzunehmender Deutschrap-Crush war. Um die Jahrtausendwende hat sie die Hamburger Rapszene mit einer erfrischenden Leichtigkeit erobert. Auf der anderen Seite erlebte Nina als Female MC im MTV-Zeitalter die volle Breitseite dessen, was es bedeutet, als Frau in der Öffentlichkeit zu stehen.

„Ey, das hier mutiert garantiert zum Dauerbrenner“: Mit dieser self-fulfilling prophecy verhalf die gebürtige Hamburgerin Nina dem Deichkind-Track „Bon Voyage“ zu einem beispiellosen Legendenstatus. Bis heute läuft der Track in Clubs, auf WG-Partys und wahrscheinlich auch in deiner Lieblings-Spotify-Playlist. Wer bei „Nicke mit dem Beat und beweg‘ dein‘ Arsch, wenn das Deichkind am Mic ist – Bon Voyage“ still sitzenbleiben kann, möge sich doch bitte aus dem Deutschrapkosmos verabschieden. Als der Song im Jahr 2000 erschien, stand Nina schon etwa acht Jahre lang auf der Bühne. In Kontakt mit HipHop war sie über ihren Sandkastenfreund und einstigen Nachbarn Jan Delay gekommen, der sie mit Filmen wie Beat Street und Musik von LL Cool J versorgte. Während eines USA-Besuchs vermachte ihr ihr Cousin ein Tape von Run DMC, womit die Sache für Nina klar war: HipHop ist ihr Leben.

Nachdem sie einen Teil ihrer Kindheit und Jugend in Süddeutschland lebte, flüchtete sie mit 15 Jahren vor dem Walldorf-Idyll zurück zu ihrem Vater nach Hamburg. Für Nina startete so eine Zeit der Rebellion, die in dieselbe Ära fiel, in der Rap auch auf Deutsch en vogue wurde. Für die sprach- und literaturaffine Nina: ein perfektes Match. „Zu der Zeit hat einfach jeder und seine Großmutter gerappt, in Hamburg“, erzählt sie Jan Wehn im ALL GOOD-Podcast.

Das erste Mal trat Nina MC 1998 gemeinsam mit Dynamite Deluxe, Eins Zwo, Das Bo und vielen mehr auf dem „Kurz und schmerzlos“-Soundtrack in Erscheinung. Ihr Kollabo-Track „Jure Ji“ mit O-Ton, der später als Mellow Mark bekannt werden sollte, war ein Lovesong, der sowohl dem significant other als auch der Großstadt huldigt. Beim Jobben in einem Streetwearladen lernte Nina zur etwa selben Zeit den Doppelkopf-Produzenten Bubbles kennen, mit dem sie unter dem Namen NMC an ersten Solosongs arbeitete. In einer Zeit, in der fast alle Rap-Musiker:innen in irgendwelchen Crews aktiv waren, fiel sie als Solistin auch dem Label Yo Mama auf, was ihr einen ersten Deal einbrachte.

Die Connection mit Deichkind kam über Buddy zustande, der in dem Club, in dem Nina arbeitete, auflegte und sie als weibliche Stimme für den Track vorschlug. „Mich hat das ganz schön überrascht, was daraus geworden ist“, lässt die Rapperin die Veröffentlichung von „Bon Voyage“ im ALL GOOD-Podcast Revue passieren.

Durch den enormen Erfolg der Single geriet sie quasi über Nacht in die Mühlen einer Musik- und Unterhaltungsindustrie, die damals im Deutschrap das große Geld witterte. „Plötzlich bekam ich die Einladungen in die Late Night Shows – ich weiß nicht, wie die Deichis das damals gefunden haben.“ Für Nina war es in vielerlei Hinsicht ein Sprung ins kalte Wasser. Die Majorlabels prügelten sich um die Rapperin, die schließlich einen recht lukrativen Solodeal bei Motor Music unterschrieb. Dort erschien 2001 ihr Debütalbum „Nikita“ mit der Single „Doppel-X-Chromosom“ – ihrem bis heute erfolgreichsten Solosong.

Ey, mein Name – NINA – MC meine Ambition
Ich hab’ das Rapfieber trotz Doppel-X-Chromosom
Ich flowe so wie sie, den Lautesten nehm‘ ich die Show weg, ey
Hat noch irgendjemand was gegen Frauenrap?“

Nina MC – Doppel-X-Chromosom

Die Frage aus der Hook musste sie nach dem Release der Single wohl bejahen: Nina MC wurde schnell zur Zielscheibe innerhalb und außerhalb der HipHop-Szene. Neben viel positivem Feedback schien die Öffentlichkeit nur darauf gewartet zu haben, dass da eine Rapperin kommt, an der aller Hass und alle Häme ausgelassen werden kann. Während die Süddeutsche Zeitung und das Goethe Institut Nina als „beste Rapperin Deutschlands“ betitelten, diente sie vielen Hatern schnell als Steilvorlage für alle Wack MCs der Welt: Bis heute werden Songs von Rapper:innen wie Shirin David und Schwesta Ewa mit Kommentaren wie „Klingt wie Nina MC, nur auf besseren Beats“ versehen – gemeint selbstverständlich als Beleidigung. Auch Stefan Raab interessierte sich bei einem Interview mit Nina im Jahr 2000 mehr für ihr Dekolleté als für ihre Rapskills: „Stefan Raab hat dieser Anzug (aus dem „Bon Voyage“-Video, Anm. d. Red.) offenbar sehr aufgeregt. […] Der wollte mit mir dann immer über diesen Anzug reden“, erzählt Nina in einem Reactionvideo vom Diffus-Magazin aus dem vergangenen Jahr. In einschlägigen HipHop-Foren wird bis heute über die „Saftigkeit“ der Rapperin diskutiert.

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Ich bin total gut gelaunt und naiv in diese ganze Musikgeschichte und habe gemacht, was mir Spaß macht, mit Leuten, mit denen ich damals gern zusammen gewesen bin. […] Ich habe das von vielen Leuten, die ihren Kopf so ein bisschen aus der Masse ans Licht gehoben haben, gehört, dass da plötzlich ein eisiger Wind weht.“

Nina MC im House of Grace-Podcast

Wieso all der Hass? Allein die Zeile „Ich hab‘ das Rapfieber trotz Doppel-X-Chromosom“ bringt den Zeitgeist auf den Punkt: Rappen war für eine Frau damals nichts Typisches, nichts Natürliches. Gibt es heute noch mehr als genug Idioten, die FLINTA-Personen die Kompetenz zu rappen aus genetischen Gründen absprechen, war Nina damals eine von nur wenigen Female MCs – einen breiten Diskurs über Misogynie und Sexismus im HipHop und in der Gesellschaft gab es kaum. Zum anderen machte der Erfolg im Mainstream Nina zum Neidobjekt. Die Szene begegnete ihr mit Missgunst und sprach ihr jegliche Kredibilität ab. Aus vollem Herzen HipHop sein und vom Feuilleton wie von der Bravo gefeiert zu werden? Ausgeschlossen.

Doch nicht nur der Umgang mit der Öffentlichkeit wurde für Nina zur Grenzerfahrung. Ihr Album „Nikita“ erfüllte die Erwartungen des Labels nicht, und die Umbrüche in der Musikbranche zu Napster-Zeiten erhöhten den Druck auf A&Rs und Künstler:innen. Nina kritisierte im Nachgang, dass es von Labelseite keine wirkliche Vision für sie als Künstlerin gegeben habe und auf der anderen Seite ihre Ideen und Vorschläge nicht berücksichtigt worden seien. Nach einem Universal-internen Wechsel infolge der Auflösung von Motor Music wurden die Erwartungen an sie immer skurriler: So erzählt Nina im ALL GOOD-Podcast, wie sie mit mehreren US-amerikanischen Producern auf eine Finca in Ibiza geschickt wurde, um ihr zweites Album zu produzieren, und schließlich ein Song von ihr auf einem Coca Cola-Sommersampler zu hören war. Im Berliner Studio der Beathoavenz nahm sie einen gemeinsamen Song mit Bushido auf, der Jahre später geleakt wurde. Es war auch die Bushido-Ära, die schließlich dazu führte, dass sich Universal Music mehr auf den erfolgversprechenden Straßenrap fokussierte und sich von Nina MC trennte. Ihr fertig produziertes zweites Album sollte nie erscheinen.

Nina nutzte diesen Bruch im Lebenslauf, um sich – nach einigen Rollen als Schauspielerin – einem gänzlich anderen Feld zuzuwenden: Heute ist die inzwischen Mittvierzigerin als Yogalehrerin erfolgreich und zelebriert an ihrer Arbeit besonders die Kontraste zur Unterhaltungsindustrie: dass es nicht nur um Selbstdarstellung, sondern allein um die innere Reise einer Person geht. In aktuellen Interviews merkt man ihr die nie endende Euphorie für HipHop allerdings bis heute an.

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